Wie im Artikel „Arbeiten in Indien“ bereits ausführlich thematisiert, agiert man als Unternehmer und Manager in Indien permanent im Spannungsfeld zwischen den lokalen Gegebenheiten und den eigenen Wertvorstellungen. Das erfordert zum einen, soweit notwendig, die Übernahme des ungewohnten autoritären Führungsverhaltens – und andererseits aber die weit verbreiteten Unarten wie persönliche Entwürdigungen und erstaunliche Entgleisungen im Ton – oder was Ihnen sonst noch Unerfreuliches begegnen mag – strikt abzulehnen.
Der Personalbereich als Sollbruchstelle
Bei Joint Ventures werden die kulturellen Unterschiede besonders deutlich spürbar. Denn Ihr indisches JV wird immer eine indische Firma sein und von ihrem Partner auch als solches geführt werden. Bitte unterschätzen Sie diesen Punkt nicht! Die teilweise komplett konträren Auffassungen von Management führen nicht selten zum Scheitern des eigenen Gemeinschaftsunternehmens in Indien.
Von allen Unternehmensbereichen ist wohl das Personalmanagement jener, wo die beiden Welten am offensichtlichsten kollidieren. Leider werden Mitarbeiter in Indien in der Regel nicht so wertgeschätzt, wie wir es hier in Europa tun. Es ist eher die Ausnahme in Personal und dessen Weiterbildung zu investieren. Stattdessen kommt es nicht selten vor, dass nach Eintritt eines Absolventen weniger bezahlt wird als vorher vertraglich vereinbart wurde, dass das Gehalt der Mitarbeiter chronisch zu spät überwiesen, oder bei einer Kündigung gar nicht mehr ausbezahlt wird. Ganz abgesehen von diesen und ähnlichen Schikanen, stehen Druck und völlig überzogene Zielvorgaben im Zentrum des Arbeitsalltags. Letztendlich trifft der amerikanische Begriff „Human Resources“ – also „menschliche Betriebsmittel“ – in Indien wesentlich besser zu als das deutsche Wort „Personalmanagement“.
Export der eigenen Unternehmenskultur nach Indien
Meistens sind (gerade Eigentümer-geführte) Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz besonders stolz auf ihre spezifische, familiäre Firmenkultur. Auf das, was sie und die Generationen davor mühsam erarbeitet und aufgebaut haben, auf das gewisse Etwas, was das Unternehmen heute ausmacht.
Daher empfehlen wir Ihnen, sich bereits in einem sehr frühen Stadium der Gespräche, mit ihrem potenziellen Joint Venture-Partner, über das Thema Firmenkultur auszutauschen. Grundlegende Fragestellungen könnten hierbei sein:
- Wie wollen wir zukünftig unsere Mitarbeiter behandeln und wertschätzen?
- Beabsichtigen wir, sie regelmäßig und pünktlich am Monatsende zu bezahlen?
- Stellen wir ihnen vielleicht sogar eine ordentliche Kantine zur Verfügung?
- Sorgen wir dafür, dass Ihre Sozialräume immer sauber sind, bzw. möchten wir überhaupt ausreichende, geeignete Räumlichkeiten anbieten?
- Haben wir vor, sie flächendeckend mit CCTV-Kameras überwachen zu lassen…?
- Planen wir eine Ausbildungsabteilung nach europäischem Vorbild einzurichten und unsere Mitarbeiter weiter zu qualifizieren?… oder ist uns der Aufwand für die einfachen Arbeiter doch zu groß?
- Fördern wir Kooperation oder Wettbewerb zwischen den Mitarbeitern?
- Wie gehen wir mit unseren Lieferanten um?
- Bekommen sie für gute Leistungen immer pünktlich ihr Geld, sogar wenn wir einen Lieferanten nur einmal in Anspruch nehmen sollten?
- Wie kommunizieren wir mit unseren Kunden…?
Wir raten Ihnen, sich über diese Dinge, die für Sie vielleicht selbstverständlich sind, gemeinsam(!) mit Ihrem indischen Partner ernsthaft Gedanken zu machen. Halten Sie fest, was Ihnen wichtig ist. Vielleicht erwägen Sie auch, die Unternehmenskultur Ihres (neuen) indischen Ablegers in einem Workshop zusammen zu erarbeiten und zu skizzieren? Dies könnte enorm zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Und falls Ihnen schließlich manche Punkte besonders wichtig sind, sollten Sie diese in Ihrem Joint Venture-Vertrag schriftlich fixieren lassen.