Business man India

Indische Patriarchen: Geschäftsleute der alten Schule

Indische (Familien-)Unternehmen funktionieren in vielen Branchen meist noch nach ziemlich traditionellen indischen Werten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie von „Geschäftsleuten der alten Schule“ geführt werden. Patriarchen und Business Familien-Clans beherrschen oft noch weitere Bereiche des indischen Geschäftslebens. Und sie prägen weithin die stark hierarchischen Regeln der Unternehmensführung im Lande. Hier gilt dann ganz besonders: Andere Werte – andere Sitten.

Wenn europäische Geschäftsleute erstmalig mit dieser so ganz anderen Unternehmenskultur konfrontiert sind, ist oft Ratlosigkeit und manchmal sogar eine gewisse Erbitterung die Reaktion.

Insbesondere die diametral entgegengesetzten Auffassungen von Management und Personalführung zwischen Europa und Indien führen auf lange Sicht nicht selten zum Scheitern eines Gemeinschaftsunternehmens (siehe auch Woran Joint Ventures wirklich scheitern), denn die tief greifenden kulturellen Unterschiede spielen vor allem in Joint Ventures eine große Rolle. Es ist daher ratsam, die Hintergründe zu kennen, um richtig, das heißt zielführend für den eigenen Unternehmenserfolg, darauf reagieren zu können.

Wir wollen hier deshalb auf einige typische und für uns Europäer doch reichlich verstörende Verhaltensmuster aus der indischen Arbeitswelt eingehen, die Ihnen bei der Arbeit mit und in indischen Firmen aus Industrie und Handel immer wieder begegnen werden.

Traditionelle und nicht hinterfragte Hierarchien führen zu ineffizienter Kommunikation, Unselbstständigkeit & Inkompetenz

Indien ist extrem Hierarchie-orientiert

Indien ist extrem Hierarchie-orientiert

Die streng hierarchisch geprägte indische Gesellschaft spiegelt sich eins zu eins in den Unternehmensstrukturen und im Arbeitsleben wider. Eine Vielzahl von Management-Ebenen organisiert, verteilt und kontrolliert die Arbeit der ausführenden Einheiten. Dieser enorme personelle Aufwand wirkt für unser Empfinden oft ineffizient und bürokratisch; er ist für die Personalführung und -Steuerung in Indien aber mitunter absolut notwendig:

Kulturell bedingt wird hierzulande selbstständiges und eigenverantwortliches Handeln in der breiten Bevölkerung weder in der eigenen Familie noch während der Ausbildung besonders gefördert – auch nicht an den Universitäten! Dadurch sind die Mitarbeiter tendenziell eher unselbstständig und leider oft auch unterdurchschnittlich qualifiziert – und so steigt der Managementaufwand entsprechend.

Das strenge hierarchische System hat aber auch noch eine weitere pikante Auswirkung: Da zusätzlich jedes Jahr Millionen von neuen Arbeitskräften auf den Markt strömen, rücken alle schon vorhandenen Mitarbeiter automatisch stufenweise weiter nach oben Richtung „mittleres Management“. Da in Indien eine Karriere als spezialisierte Fachkraft nicht vorgesehen ist, wird aus einem kompetenten Fachexperten früher oder später schon mal ein inkompetenter Manager („Peter’s Principle“).

Arbeiten in Indien bedeutet Autoritätshörigkeit

Der häufig zu beobachtende Teufelskreis aus Misstrauen oder auch einem falsch verstandenen „Beschützer-Instinkt“ auf Seiten der Führung und persönlicher Unselbstständigkeit bei den Mitarbeitern beginnt leider schon in den Familien. Die Eltern nehmen dem Nachwuchs so gut wie alle Entscheidungen ab und die Kinder werden geradezu überversorgt – „spoon-feeding“ nennt man das hier. Dazu kommt, dass in den Familien bis hin zur unteren Mittelschicht in jedem Haushalt „dienstbare Geister“ vorhanden sind, die schon den Kindern die meisten Herausforderungen des alltäglichen Lebens abnehmen. Im Gegenzug lernen die Kinder dadurch auch schon früh unwidersprochenes Anordnen.

Dies führt aber nahtlos und konsequent zur chronischen Unselbstständigkeit der jungen Erwachsenen – auch und besonders im späteren Arbeitsleben. Viele junge Inder – auch Absolventen einer Universität! – sind es gar nicht gewöhnt, ohne Anleitung und ohne Aufsicht zu arbeiten und haben andererseits auch keine Vorstellung davon, dass Führung auch ganz anders funktionieren könnte, als „Top-Down“.

Das vorherrschende Menschenbild in der indischen Führungsphilosophie scheint der „Theorie X“ von Douglas McGregor zu entsprechen. Diese geht davon aus, dass der Mensch von Natur aus faul ist und deshalb versucht, der Arbeit so gut es geht aus dem Weg zu gehen. Daher muss ein Mitarbeiter stets von außen motiviert und durch extrinsische Maßnahmen belohnt beziehungsweise sanktioniert werden.

Gehorsamkeit und „Motivation“ durch Druck von oben

Misstrauen gegenüber den Mitarbeitern ist in indischen Unternehmen die ganz normale und grundsätzliche Einstellung. Da in der Regel von Seiten der Führung kein Vertrauen aufgebaut wird, ist andererseits selbstständiges Arbeiten in Indien für die Mitarbeiter auch gar nicht möglich. Stattdessen wird über Druck und quantitative Vorgaben – zum Beispiel über die Anzahl der Calls – und mit permanenter Kontrolle geführt. Sicherheitshalber werden vom Management auch noch völlig überzogene Verkaufsziele ausgegeben, was zum Phänomen des typisch indischen „Hard Selling“ führt: aggressives Verkaufen, ohne sich die Zeit zu nehmen um herauszufinden, wer eigentlich der Kunde ist und welche Probleme und Vorstellungen er hat. Das einfache Motto lautet so gut wie immer: Mehr ist besser!

Neue Ideen oder gar kritische aber sachliche Fragen „von unten“ haben kaum eine Chance, je gehört zu werden. Stattdessen wird Kritik tendenziell und traditionell als persönlicher Angriff verstanden. Die persönliche Ebene steht hier leider immer vor der Sache und somit zwischen den Menschen. Ganz aus dieser Haltung heraus werden nicht selten Kündigungen von Seiten der Mitarbeiter auch als Grund genommen, „zur Vergeltung“ das letzte Gehalt einfach einzubehalten.

Arbeiten zwischen den Welten

Kulturschock Indien

ein ständiger Spagat zwischen den Kulturen

In Indien zu arbeiten bedeutet, sich dem herausfordernden kulturellen Umfeld anzupassen, aber auch den persönlichen – europäischen – Werten treu zu bleiben. Das heißt für Sie: Soweit notwendig Übernahme des ungewohnten autoritären Führungsverhaltens, um einfach den Betrieb am Laufen zu halten. Und gleichzeitig die weit verbreiteten Unarten wie persönliche Entwürdigungen und erstaunliche Entgleisungen im Ton oder was Ihnen sonst noch Unerfreuliches begegnen mag – auch öffentlich! – strikt abzulehnen. Das bedeutet eine tägliche und permanente Gratwanderung, der Sie sich aber stellen müssen, um Ihre indische Unternehmung sicher durch die Abgründe des Culture Clash zu steuern.

Wenn Sie selbst eine Führungsaufgabe in Indien wahrnehmen oder aus Europa heraus eine indische Organisation managen sollen, verweisen wir Sie auch auf unseren Fachartikel: Adäquate Führung & Steuerung Ihres Indiengeschäfts