Reality Check: Die durchwachsene Bilanz der Wirtschaftspolitik Modis. Ein- und Ausblick für internationale Investoren und Exporteure.

Ab Donnerstag, dem 11. April entscheiden etwa 900 Millionen Wahlberechtigte in Indien, ob Premierminister Narendra Modi (der hindu-nationalistischen BJP) das Land für weitere fünf Jahre regieren wird – oder sein Herausforderer Rahul Gandhi, Vorsitzender der oppositionellen Kongresspartei und Spross der einflussreichen und gleichnamigen Politikerdynastie.

Wer die Parlamentswahlen gewinnt und eine Regierung bildet, kontrolliert nicht nur das Schicksal der größten Demokratie der Welt und seiner 1,34 Milliarden Einwohner, sondern auch die bald fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Am 23. Mai werden die Stimmen ausgezählt und das Ergebnis veröffentlicht.

Die indische Wirtschaft im Überblick (aus der Makroperspektive)

Der Erdrutschsieg Modis 2014 war vor allem seinem Image als entschlossener Wirtschaftsreformer geschuldet. In diesem Selbstverständnis lancierte er in den letzten fünf Jahren ambitionierte Kampagnen wie „Make in India“, setzte zum Beispiel mit der „Demonetisation“ auf finanzpolitischen Aktionismus, führte im Eilverfahren die landesweite Mehrwertsteuer (GST) ein und setzte sich so quasi selbst ein Denkmal.

Jetzt ist es an der Zeit, sich die Resultate seine Wirtschaftspolitik etwas näher anzusehen und zu bewerten, ob beziehungsweise inwiefern auch internationale Investoren davon profitieren konnten.

Die wichtigsten Indikatoren im Überblick:

  • Moderates bis solides Wirtschaftswachstum: Die jährlichen Wachstumsraten während dieser Regierungsperiode lagen zwischen 6,5 und 8,2 Prozent (im Vergleich zu 5,5 bis 10 Prozent von 2009 bis 2014). An die angestrebten zweistelligen Steigerungen konnte man allerdings nicht herankommen. Für 2019/2020 sagt der internationale Währungsfonds 7,3 Prozent Wachstum voraus.
  • Die Arbeitslosigkeit in einem Land zu bestimmen, wo nur rund zehn Prozent der Bevölkerung im „formellen Sektor“ beschäftigt ist, ist quasi unmöglich. Die Regierung hat seit mehreren Jahren keine offiziellen Beschäftigungsdaten mehr veröffentlicht und die geplante Veröffentlichung ihrer neuesten Arbeitskräfteerhebung im Februar sogar abgesagt. Das nährt Spekulation und Zweifel, ob Modi sein Versprechen „Jobs zu schaffen“ halten konnte. Die Zeitung „Business Standard“ gab an, eine Kopie der Studie erhalten zu haben, bei der die höchste Arbeitslosenquote seit 45 Jahren verzeichnet wurde – eine Steilvorlage für die Opposition.
  • Niedrige Inflation: Mit offiziellen Inflationsraten zwischen 3 und 5 Prozent lag man die letzten Jahre auf einem historisch niedrigen Niveau. Die Vorgängerregierung musste noch mit Inflationsraten um die 10 Prozent kämpfen. Ein Verdienst Modis!?
  • Wechselkurs und Handelsbilanz: Indien leidet nach wie vor unter chronischen Leistungsbilanzdefiziten, was insbesondere den Energieimporten geschuldet ist. Die schwache Rupie hilft der indischen Exportwirtschaft nicht in dem Maße wie sie beim Import von Rohstoffen die eigenen Währungsreserven und die eigene Leistungsbilanz belastet.
  • Staatsverschuldung im Griff: Laut Weltbank lag die jährliche Neuverschuldung in den letzten fünf Jahren konstant unter 2 Prozent. Durch großzügige Wahlgeschenke wird allerdings für das heurige Jahr mit einer merkbaren Ausweitung der Staatsverschuldung gerechnet. Modi zeigte sich beim Haushaltsbudget 2019/2020 als „starker Mann in Spendierhosen“.

Das allgemeine Investitionsklima unter Modi

Im Rahmen der „Make in India“ Kampagne hat Narendra Modi 2014 die Devise ausgegeben den Anteil des verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 16 auf 25 Prozent im Jahre 2025 zu steigern und dadurch 100 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen.

An diesen Worten messen ihn aber nicht nur seine Wähler (die sich Jobs erwarten), sondern auch jene Unternehmen, die in Indien investieren und eine lokale Fertigung aufbauen wollen. Die indische Wirtschaft sollte weiter dereguliert und für ausländische Investoren geöffnet werden. Durch Bürokratieabbau und ein einheitliches Steuersystem sollte die Geschäftstätigkeit deutlich erleichtert und Indien zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort werden.

Make in India: (noch) kein Erfolg

Allerdings beträgt – laut Weltbank – der Beitrag des verarbeitenden Gewerbes nach wie vor nur knapp 15 Prozent am BIP und ist nicht nur weit hinter dem Ziel zurück, es gibt auch kaum Anzeichen für einen Aufwärtstrend.

Aber das ist per se noch nicht Modis Schuld. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der indischen Gesamtwirtschaft ist bereits seit über zwei Jahrzehnten rückläufig. Die Gründe der Unattraktivität des Standorts liegen eher am Mangel an qualifizierten Fachkräften, schlechter Infrastruktur und an den hohen Energiepreisen. Positive Impulse gibt es allerdings in der Biotech-Branche sowie der Chemie-, Kunststoff- und der Automobilindustrie.

Zwischen FDI und Protektionismus

Zu Beginn seiner Amtszeit warb Modi international – teils aggressiv – um ausländische Investoren und beseitigte mehrere Hindernisse für ausländische Akteure in Sektoren wie Fertigung, Einzelhandel und Luftfahrt.

Die Direktinvestitionen Deutschlands in Indien haben sich in den letzten fünf Jahre auf über eine Milliarde Dollar mehr als verdoppelt. Die Summe aller Auslandsinvestitionen (Foreign Direct Investments, FDI) beliefen sich laut Ministry of Commerce and Industry 2018 mit etwa 45 Milliarden Dollar etwa doppelt so hoch wie vor Modis Amtsübernahme.

FDI nach Indien (2014-2018)

Das Wachstum der ausländischen Direktinvestitionen hat sich jedoch in den letzten Jahren abgekühlt und ist zwischen 2017 und 2018 auf unter 5 Prozent gefallen. Die jüngsten Razzien gegen ausländische Unternehmen, insbesondere führende Online-Einzelhändler wie Walmart und Amazon, haben wieder einmal dazu geführt, dass viele durch Modis unvorhersehbare Politik verstört wurden.

Ob diverse protektionistische Vorschriften nur Signale an seine Wähler (die Business Communities bilden einen großen Teil seiner Basis) sind, oder strategisch motiviert sind, können und wollen wir an dieser Stelle nicht beurteilen.

Ease of Doing Business..?

Im Oktober 2018 veröffentlichte die Weltbank ihre alljährliche Studie (Ease of) Doing Business. Darin machte Indien im Ranking der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit 23 Plätze gut und rangiert nun auf Rang 77 (von 190). Narendra Modi hat dieses Ranking massiv für seine eigene PR verwendet.

Unsere Studie „Geschäftsklimaindex Indien“ spricht allerdings eine etwas andere Sprache. So nennt der Großteil der deutschen Unternehmen die Bürokratie in Indien als ihr mit Abstand größtes Problem.

Mit dem 2016 in Kraft getretenen Insolvenzgesetz (Insolvency and Bankruptcy Code), und dem am 2018 vom Parlament verabschiedeten Arbitration and Conciliation (Amendment) Act wurde eine Vereinheitlichung und Modernisierung des indischen Wirtschafts- und Gesellschaftsrechts angestrebt.

Goods and Service Tax: Indien endlich als einheitlicher Markt

Die Einführung der GST zum 1. Juli 2017 kann zu Recht als größte Steuerreform Indiens seit der Unabhängigkeit bezeichnet werden. Sie ersetzt einen Großteil der früheren indirekten Steuern sowohl auf zentralstaatlicher Ebene (Service Tax, Central Sales Tax etc) als auch auf Ebene der einzelnen Bundesstaaten (VAT, Entry Tax, Octroi etc) und machte aus Indien einen einheitlichen Markt. Gerade beim Transport zwischen den Bundesstaaten wurde dadurch massiv Bürokratie abgebaut. Vertriebsniederlassungen internationaler Unternehmen profitieren besonders von der Einführung der Goods and Services Tax.

Auch wenn die Einführung der GST doch für viele Unternehmen herausfordernd war, kann dieses Projekt – nach Jahrzehntelangen politischen Diskussionen – endlich als abgeschlossen und Erfolg gewertet werden.

Diese Steuerreform soll Investitionen in die Logistik- und Transportbranche befeuern und so auch in den kommenden Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum und den Handel nachhaltig ankurbeln.

Ausblick für die indische Wirtschaft: Das Leben nach der Wahl

Indien ist nach wie vor eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen wird prognostiziert, dass die indische Wirtschaft 2019 um 7,6 Prozent und 2020 um 7,4 Prozent wachsen soll.

Egal wie die Wahlen ausgehen: Indien wird den Weg der wirtschaftlichen Öffnung und Reregulierung fortsetzen. Jede Regierung muss versuchen die Wirtschaft zu stimulieren und Investoren ins Land zu holen – um Wachstum und so Jobs zu schaffen (jedes Jahr strömen etwa zehn Millionen junge Inder auf den Arbeitsmarkt).

Modis Anhänger bei einer Wahlkampfveranstaltung

Modi verspricht im Wahlkampf Wachstum und Jobs. Unklar ist allerdings welche (neuen) Akzente er wirtschaftspolitisch setzen will und ob er wieder alleine regieren kann. Die absolute Mehrheit der BJP wackelt jedenfalls gehörig.

Im Falle einer Abwahl Modis, ist nicht zu erwarten, dass die Kongresspartei wesentliche Gesetze zurücknimmt. Sollte Congress die Überraschung gelingen und eine relative Mehrheit erreichen, könnte Indien jedoch schwer regierbar werden. Eine stabile Mehrheit ist auf Grund der indischen Parteienlandschaft (mit über 30 Parteien im Unterhaus) unwahrscheinlich und könnte Indien politisch lähmen.

Letztendlich ist aber der Einfluss der indischen Regierung auf die indische Wirtschaft wohl geringer als Modi und Gandhi selbst wahrhaben wollen. Der Einfluss der globalen Konjunktur, eine mögliche Rezession und Handelskriege haben mit Sicherheit mehr Einfluss auf Wachstum, Direktinvestitionen und das Handelsvolumen mit Indien.