Stark steigende Wachstumsraten, eine immer größere konsumfreudige Mittelschicht und zahlreiche staatliche Investitionsanreize. Indien wird als Standort für deutsche und europäische Unternehmen immer attraktiver. Blicken Konzerne wie Bosch, Siemens, VW oder Daimler auf eine lange Indien-Historie zurück, wird der Subkontinent auch für den Mittelstand zunehmend interessant.

Was den Markteintritt erleichtert: Produkte ‘Made in Germany‘ genießen vor Ort trotz oftmals höherer Preise traditionell einen exzellenten Ruf. Mit welchen Stärken und Chancen punktet die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt? Indien als Hoffnungsträger für mittelständische Unternehmen?

Herausforderungen in Indien

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Zu den Schwächen Indiens zählen Experten die bürokratischen Hürden, die teils langwierige Durchsetzung von Recht, die mangelhafte Infrastruktur, die Importabhängigkeit bei Rohstoffen und Vorprodukten sowie die niedrige Produktivität in der Industrie. Als Risiken nennen sie die wachsende Staatsverschuldung, die im Finanzjahr 2020/21 (zum 31. März) einen Wert um die 90 Prozent vom BIP erreichte. Zum Vergleich: In Deutschland lag dieser 2020 bei gut 69 Prozent. Als weiteres Risiko gilt die Inflation. Negativ dürften sich auch im rohstoffabhängigen Indien die stark gestiegenen Energiepreise auswirken.

Geschäftsbeziehungen

Interkulturelle Unterschiede und zahlreiche Besonderheiten prägen den indischen Geschäftsalltag. Ein Beispiel ist der Umgang mit indischen Banken. Zur Vermeidung von Geldwäsche sind Geschäftskunden an sehr strenge wiederkehrende Legitimationsprüfungen (‘KYC-Prozesse’) gebunden, die schnell zu einer Kontosperrung führen können, sobald die kleinste Unstimmigkeit auftaucht. Ein Hinweis, dass dadurch das gesamte Indiengeschäft auf dem Spiel stehen könnte, wird die lokale Bank kaum beeindrucken. Verantwortlich für die bisweilen ausufernde Bürokratie ist die indische Zentralbank (RBI) mit ihrem enormen Einfluss.

Steuern und Zölle

Im internationalen Vergleich liegt Indien mit einem maximalen Unternehmenssteuersatz (für lokale Unternehmen) von 30 Prozent* nach Japan auf dem zweiten Platz und gleichauf mit Deutschland. Weltweit haben Statistiker einen Durchschnitt von 23,64 Prozent für 2021 errechnet. Gerade für produzierende und neugegründete Unternehmen bietet Indien aber auch steuerliche Anreize. So unterliegen z.B. zu 100 Prozent produzierende Unternehmen einem verringertem Unternehmenssteuersatz von lediglich 15 Prozent*. Dieser temporäre fiskalpolitische Anreiz wurde Anfang Februar 2022 erneut um ein weiteres Jahr bis Ende März 2024 verlängert. Neu gegründete Unternehmen können in den Genuss eines reduzierten Steuersatzes i.H.v. 22 Prozent* kommen (*jeweils Basissteuersatz plus Zuschläge).

Für Intercompany-Import-Geschäfte nach Indien benötigen ausländische Unternehmen eine Art ‘permanente Importpreisgenehmigung’ des indischen Zolls, die dieser normalerweise für zunächst drei Jahre erteilt. Falls der Zoll jedoch nicht von der Korrektheit der angemeldeten Intercompany-Preise überzeugt werden kann, kann dies u.U. zu Zuschlägen auf die Importpreise (das sogenannte ‘Loading‘) und somit zu effektiv erhöhten Importzöllen führen. Dies kann im ungünstigsten Fall ein bewährtes und erfolgsversprechendes Geschäftsmodell ins Wanken bringen.

Korruption

Im einmal jährlich von Transparency International ermittelten Korruptionswahrnehmungsindex belegte Indien Anfang 2022 den 85. Rang unter 180 Staaten und Territorien. Zum Vergleich: Deutschland liegt auf dem 10. und China auf dem 66. Platz.

Transparenz

Deutsches Stammhaus und indische Tochter trennen mindestens gut 6.000 Kilometer. Was vor Ort geschieht, ist nicht immer transparent. Nach außen mag die Niederlassung erfolgreich arbeiten und alle Ziele erfüllen. In der Realität ist das nicht immer der Fall. Ein engmaschiges Controlling zahlt sich deshalb aus, zumal Inder – und da kommen wieder die interkulturellen Unterschiede ins Spiel – höchst ungern sagen: “Das klappt nicht, das kriegen wir nicht hin!” Stattdessen wackeln sie häufig vielsagend mit dem Kopf und lassen ihr Gegenüber eher im Unklaren, was genau sie damit meinen.

Arbeitsmarkt

Anders als in Deutschland können Arbeitgeber in Indien zwar unter einer Vielzahl von Fachkräften wählen. Die geforderten Qualifikationen werden in Lebensläufen als vorhanden angegeben, sind jedoch oftmals nicht ausreichend. Dabei kommt es häufig zu einem Missverständnis: Da in vielen Publikationen immer wieder auf das attraktive „Humankapital“ Indiens mit seiner jungen Bevölkerung und „riesigen Anzahl“ an potenziellen Arbeitskräften eingegangen wird, schätzen viele ausländische Investoren den Arbeitsmarkt Indiens falsch ein: In Indien ist gutes Personal rar und daher schwierig zu finden. Die Auswahl wird durch eine Vielzahl manipulierter Lebensläufe und Fehlreferenzen erschwert. Ebenso müssen die ernsthaften Bewerber durch entsprechende Interviews und Assessmenttests aus der großen Gruppe der reinen Opportunisten, Jobhopper und Kandidaten, die gar kein ernsthaftes Interesse an Ihrem Unternehmen haben, herausgearbeitet werden. Der Recruiting-Prozess ist in Indien entsprechend komplexer und langwieriger als in Europa. Sie müssen einerseits die Quantität bewältigen, andererseits die Qualität wie die Nadel im Heuhaufen suchen.

Gute Beratung zahlt sich aus 

In Indien sind bereits rund 1.700 deutsche Unternehmen aktiv. Um aber „richtig“ erfolgreich sein, brauchen sie vor allem Geduld und gute Nerven. Viele unterschätzen bereits vor dem Markteintritt die Herausforderungen und sich (vielleicht zu stark) einseitig auf die Chancen konzentriert.

Wollen sich Unternehmer erst einmal grundsätzlich über Indien und die dortigen wirtschaftspolitischen bzw. kulturellen Rahmenbedingungen informieren, bieten 18 Industrie- und Handelskammern mit einem India Desk eine erste Anlaufstelle. Die India Desks arbeiten intensiv mit der Auslandshandelskammer Indien (AHK) zusammen.

Wird es dann konkreter, benötigt man aber für die Detailplanung und die Umsetzung seiner Geschäftsvorhaben spezialisierte Unterstützung. Auf Indien spezialisierte Beratungsunternehmen wie die Dr. Wamser + Batra GmbH mit Standorten in Indien, Deutschland, Schweiz, Österreich, den Niederlanden und Spanien begleiten Konzerne und Mittelständler bei der Detailplanung, Umsetzung, Kontrolle und Optimierung von Geschäftsaktivitäten und Projekten auf dem Subkontinent. Dank der zwanzigjährigen Erfahrungen können die Experten Firmen bei allen „Lebenslagen“ in Indien begleiten – nicht nur in der „euphorischen“ Anfangsphase, sondern auch, wenn die Probleme des Geschäftsalltags, Umstrukturierungen, eventuell sogar Krisen oder Firmenschließungen auftauchen.

Fazit

Sie galten als die Hoffnungsträger schlechthin. Experten sagten ihnen als Investitionsstandorte eine rosige Zukunft voraus: die BRIC-Staaten, Brasilien, Russland, Indien und China. 2001 hatte Jim O’Neill, Chefvolkswirt von Goldman Sachs, den Begriff geprägt. Heute, gut 20 Jahre später, hat sich Russland nach dem Angriffskrieg in der Ukraine für lange Zeit in eine Außenseiterposition gebracht. China macht seinen Handelspartnern mit Handelsbarrieren und immer neuen Restriktionen den Geschäftsalltag schwer. Und Brasilien gehört laut Prognose des IWF zu den Ländern, die 2022 und 2023 das geringste Wirtschaftswachstum weltweit aufweisen werden.

Bleibt Indien, die größte Demokratie der Welt, die zwar unter dem seit 2014 regierenden und damals mit viel Vorschusslorbeeren bedachten Ministerpräsidenten Modi bei weitem nicht alle Erwartungen erfüllen konnte. Noch immer sind zum Beispiel Bürokratie und Korruption Top-Ärgernisse für in- und ausländische Unternehmen. Und dennoch: Laut Wirtschaftsforschern wird die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt in den kommenden Jahren deutlich stärker wachsen als China. Indien bietet Investoren zudem einen riesigen Absatzmarkt, der dank einer kontinuierlich größer werdenden konsumfreudigen Mittelschicht weiter zulegt. Nach Einwohnern gerechnet wird schließlich Indien bald China als größten Staat der Erde ablösen. Anders als Deutschland profitiert Indien von seiner demografischen Dividende. Gut ausgebildete IT-Fachkräfte unterstützen in- und ausländische Investoren bei allen Themen rund um die Digitalisierung. Immer mehr deutsche Firmen verlagern ganze IT- und/oder (Software-)Entwicklungsabteilungen auf den Subkontinent.

Last but not least profitieren deutsche Unternehmen davon, dass Indien genau die Produkte braucht, die Deutschland liefern oder vor Ort produzieren kann: Fahrzeuge, Fahrzeugteile, Maschinen, Chemie und Elektrotechnik.

Von diesen Chancen können auch die Mitgliedsunternehmen der Schwarzwald AG profitieren. Oder wie es KPMG-Vorstand Andreas Glunz bei der Vorlage des ‘German Indian Business Outlook’ auf den Punkt brachte: „Ein Großteil der deutschen Wirtschaft droht den Zukunftsmarkt Indien zu verschlafen. Wer darauf wartet, bis Indien ein modernes Industrieland ist, kommt zu spät. Dann ist der Markt längst aufgeteilt.“