Stark steigende Wachstumsraten, eine immer größere konsumfreudige Mittelschicht und zahlreiche staatliche Investitionsanreize. Indien wird als Standort für deutsche und europäische Unternehmen immer attraktiver. Blicken Konzerne wie Bosch, Siemens, VW oder Daimler auf eine lange Indien-Historie zurück, wird der Subkontinent auch für den Mittelstand zunehmend interessant.

Was den Markteintritt erleichtert: Produkte ‘Made in Germany‘ genießen vor Ort trotz oftmals höherer Preise traditionell einen exzellenten Ruf. Mit welchen Stärken und Chancen punktet die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt? Indien als Hoffnungsträger für mittelständische Unternehmen?

 

Aus der Praxis: „Tipps und Tricks“

Noch mehr als sonst gilt in Indien: Wissen ist Macht!

In der Regel sind viele Ihrer Partner, Kunden, Lieferanten sowie andere Stakeholder aus Ihrer Branche auch in Indien aktiv. Profitieren Sie von deren Erfahrungen und ihrer „Market Intelligence“. Finden Sie auf diese Weise heraus, welche Projekte wirklich heiß sind und von welchen Projekten Sie besser die Finger lassen sollten. Nutzen Sie auch Synergien, die sich eventuell im Vertrieb ergeben können – so erweitern Sie klug Ihre Kräfte und Möglichkeiten. Spinnen Sie Ihre eigenen informellen Netzwerke – so wie es die Inder auch tun. Es ist kein großes Geheimnis, dass man in Indien nur über persönliche Beziehungen erfolgreich Geschäfte machen kann. Dazu zählen aber nicht nur der regelmäßige formelle Austausch und gegenseitige Besuche in einem offiziellen Rahmen. Lernen Sie die Menschen abseits von ihrer Rolle im Unternehmen kennen und entwickeln Sie Freundschaften. Durch das bewusste Schaffen von informellen Situationen können Sie – wenn es einmal nötig wird –ohne Probleme auf die persönliche Ebene wechseln und Klartext sprechen – abseits vom firmenpolitischen Protokoll, sozusagen unter Freunden.

In Indien vertraut man gerne auf Testimonials und orientiert das eigene Verhalten an Leitfiguren, oft auch mit einem gewissen Hang zum Herdentrieb. Machen Sie sich dieses Phänomen zu Nutze und konzentrieren Sie sich zu Beginn vorrangig auf solche Leads, die im Markt Status und Anerkennung genießen. Wenn Sie solche „Leitkunden“ gewinnen, ist der Bann oft schon gebrochen. Ein guter Referenzkunde ist in Indien mehr wert als jede Zertifizierung!

“Real-time” Marktforschung spielt eine entscheidende Rolle

Vor zehn bis fünfzehn Jahren gab es noch kaum brauchbare Informationen zum indischen Markt. Das hat sich in der Zwischenzeit grundlegend geändert. Alle möglichen nationalen und internationalen Verbände und Institutionen legen heute regelmäßig unzählige Marktstudien, Branchenreports und Wirtschaftsberichte auf. Die darin wiedergegebenen Daten zur absoluten Marktgröße und den Wachstumsraten geben gewiss einen ersten Anhaltspunkt zur Orientierung über die zukünftige Marktentwicklung in Indien. Die brennendsten Fragen eines Unternehmers lassen sich daraus aber noch nicht beantworten:

  • Wie groß ist der Markt für mein Unternehmen wirklich?
  • Welche Projekte sind wirklich heiß (und wo verschwende ich nur meine Ressourcen)?
  • Welche Kunden und Netzwerke sollte ich (aus verschiedenen Gründen) sogar meiden?
  • Wer sind meine direkten und vor allem: wer sind meine indirekten Wettbewerber?

Kurz gesagt: Wo die offiziellen Marktrecherchen enden, fängt in der Praxis die echte Marktforschung erst an. Die meisten europäischen Unternehmer holen sich die Markteinschätzung zu ihrem Geschäft direkt von ihren aktuellen oder zukünftigen Partnern vor Ort in Indien. Immerhin, so die allgemeine Ansicht, sind sie es, die den indischen Markt bestens kennen. Leider wird oft vergessen, dass man in Indien grundsätzlich jede Information als gefiltert und subjektiv einschätzen muss.

So wird der indischer Vertriebspartner immer einen plausiblen Grund haben, worum das Geschäft im letzten Quartal schlechter gelaufen ist als geplant. Und ein verlorener Lead wird Ihnen mit Sicherheit nicht die wahren Gründe verraten, warum er sich letztendlich gegen Ihr Angebot entschieden hat. Das liegt nun nicht unbedingt an Indien, sondern einfach in der Natur der Sache: Ein direkt Betroffener kann die Objektivität nicht wahren. In Indien neigt man hingegen trotzdem gerne zu Übertreibungen.

Eine der wichtigsten Methoden bei Marktforschung und Marktanalysen in Indien sind Experteninterviews: die offizielle und systematische Ansprache aller Marktteilnehmer wie Branchenexperten, Mitbewerber, Verbände, Absatzmittler, Mitarbeiter, potenzielle Kunden und Lieferanten zur Informationsgewinnung. Aber: Auch diese direkt gewonnenen Informationen müssen noch einmal grundsätzlich kritisch hinterfragt und anhand weiterer Quellen validiert werden. Oft ist der informelle Kommunikationskanal aber der beste und einzige Weg, um in Indien herauszufinden, wo es realistische Verkaufschancen gibt.

Um die Ecke denken

Unter Umständen kann es für Ihr Unternehmen sinnvoll sein, in Indien anstatt Ihres eigentlichen Produkts eine damit verbundene Dienstleistung zu verkaufen. Es mag vorkommen, dass es der Markt tatsächlich nichts anderes zulässt und Sie auf neue Ideen vertrauen müssen. Es gibt zum Beispiel mehrere deutsche Maschinenbauer, die in Indien (und nur dort!) erfolgreich in der Lohnfertigung tätig sind. Da indische Kunden mit der Bedienung deutscher Maschinen immer wieder massive Probleme hatten – aus falscher Handhabung ergaben sich Defekte und daraus wiederum hohe Wartungskosten (siehe oben), sind zahlreiche europäische Maschinenbauer dazu übergegangen, auch Ausbildungs-Dienstleistungen anzubieten. Der entscheidende Faktor für den Erfolg ist dabei die Sicherstellung der Qualität und die permanente Aus- und Weiterbildung der Maschinenführer und Operators.

So baute ein deutscher Hersteller von Betonpumpen in Indien zusätzlich seine eigene Akademie auf, um dort die Mitarbeiter und auch andere Auszubildende schulen zu lassen. Der Kunde kauft jetzt nicht mehr nur die Pumpe, sondern er bekommt obendrein noch den gut ausgebildeten Operator dazu.

 

Teil 3: Herausforderungen in Indien & Fazit