Stark steigende Wachstumsraten, eine immer größere konsumfreudige Mittelschicht und zahlreiche staatliche Investitionsanreize: Indien wird als Standort für deutsche und europäische Unternehmen immer attraktiver. Blicken Konzerne wie Bosch, Siemens, VW oder Daimler auf eine lange Indien-Historie zurück, wird der Subkontinent auch für den Mittelstand zunehmend interessant.

Was den Markteintritt erleichtert: Produkte ‘Made in Germany‘ genießen vor Ort trotz oftmals höherer Preise traditionell einen exzellenten Ruf. Mit welchen Stärken und Chancen punktet die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt? Indien als Hoffnungsträger für mittelständische Unternehmen?

Indiens Stärken und Chancen als Investitionsstandort

Aus Sicht von Investoren punktet der Subkontinent mit einer breiten industriellen Basis, einem westlich orientierten Rechtssystem, einem wettbewerbsfähigen Lohnniveau, einer großen Anzahl von Hochschulabsolventen sowie einer reformwilligen Regierung. Für Germany Trade & Invest, die bundeseigene Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing, zählen eine junge, konsumfreudige Bevölkerung – etwa 35 Prozent der Inder sind jünger als 25 Jahre – die Modernisierung der Infrastruktur, Investitionsanreize für Industrieansiedlungen und ein großes Interesse indischer Unternehmen an internationalen Kooperationen und Wissenstransfer zu den größten Chancen des Standortes.

Darüber hinaus lockt ein riesiger Absatzmarkt. Laut Prognosen von Wirtschaftsforschern wird Indien in den kommenden Jahren deutlich stärker wachsen als China. Außerdem wird die heute drittgrößte Volkswirtschaft Asiens mit zuletzt 1,38 Milliarden Einwohnern China als bevölkerungsreichsten Staat der Welt ablösen.

Deutsches Know-how in Indien gefragt

Der deutsch-indische Handel hat sich im vergangenen Jahr kräftig erholt. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) legten die deutschen Exporte nach Indien um 20,3 Prozent auf 14,7 Milliarden US-Dollar zu, während die Importe aus Indien um 26,3 Prozent auf 12,9 Milliarden US-Dollar stiegen. Bei den Handelspartnern Deutschlands lag Indien wie im Jahr 2020 als Absatzmarkt auf Rang 23, als Bezugsmarkt rutschte Indien vom 25. auf den 26. Rang.

Deutschland liefert vor allem Maschinen aller Art, die ein Viertel zu den Exporten beitragen. Gefragt sind unter anderem Flugzeuge, da der indische Luftfahrtsektor mit seinen Airlines Indigo, Spice oder Go First zuletzt stark gewachsen ist. Besonders kräftig legten Straßenfahrzeuge zu (47 Prozent) und mit ihnen Kfz-Teile. Zu weiteren wichtigen Exportgütern zählen Elektrotechnik, Mess-, Prüf- und Regeltechnik sowie chemische Erzeugnisse. Aus Indien kommen vor allem chemische Erzeugnisse, allen voran Industriechemikalien, und Kleidung. Aber auch Eisen, Stahl, Maschinen und Elektrotechnik zählen zu wichtigen Importgütern aus Indien.

Wie China will die indische Regierung die Importabhängigkeit des Landes verringern, indem sie die Produktion vor Ort für den heimischen Markt steigert und das Land gleichzeitig als Exporthub etabliert. Außerdem hofft Neu-Delhi, von Verlagerungen der Lieferketten, insbesondere aus China, profitieren zu können. Mit großzügigen Subventionen in Form von so genannten ‘Production Linked Incentives’ (PLI) unterstützt die Regierung deshalb Neuansiedlungen und Expansionen in ausgewählten Branchen. Zu den geförderten Wirtschaftssektoren zählen vor allem solche, in denen deutsche Konzerne und Mittelständler traditionell stark aufgestellt sind wie Pharmazeutika und Kfz-Teile.

Priorität bei den staatlichen Ausgaben hat zudem vor allem der Ausbau der Infrastruktur, insbesondere Straßen und Schienenverkehr. Diese gilt in weiten Teilen als mangelhaft, was Transport- und Logistikkosten in die Höhe treibt.

Indische Arbeitskräfte im In- und Ausland

Mit mehr als drei Millionen Quadratkilometern ist Indien der siebtgrößte Staat der Erde und in etwa neunmal so groß wie Deutschland. Die fast 1,4 Milliarden Menschen leben in 28 Bundesstaaten, die genauso vielfältig sind wie die europäischen Staaten. Da aber neben Hindi Englisch die Amtssprache ist, können sich Geschäftsleute in allen Teilen des Landes problemlos verständigen. Schon in Kindergarten und Schule lernen die Kinder Englisch. Anders als in China entfallen damit Sprachbarrieren.

Während Deutschland mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren immer stärker auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist, profitiert Indien von einer deutlich vorteilhafteren Alterspyramide. Der indische Anteil an der Weltbevölkerung im Alter von 15 bis 24 Jahren liegt bei 20,5 Prozent und damit deutlich vor China mit 14 Prozent.

Made in Germany

Da ‘Made in Germany‘ dank beliebter Automarken, Haushaltsgeräten oder auch Maschinen in Indien einen exzellenten Ruf genießt, sind die deutschen Unternehmen als Arbeitgeber entsprechend gefragt. Sie punkten in der Regel mit einer guten Unternehmenskultur, vergleichsweise geringen Wochenarbeitszeiten, einer guten (privaten) Gesundheitsvorsorge, Programmen zur Mitarbeiter:innen-Bindung sowie insbesondere durch eine hohe Loyalität der Arbeitgeber:innen zu den Arbeitnehmer:innen. Eine ‘Hire and Fire’ Kultur, wie wir sie z.B. aus den USA kennen, gibt es insbesondere bei mittelständischen deutschen Firmen in der Regel nicht. Gleichzeitig gelten indische Fachkräfte als fleißig mit einer hohen Arbeitsmoral und einem Langzeitinteresse am Arbeitgeber.

Von der Qualifikation indischer Fachkräfte können sich deutsche Arbeitgeber:innen auch in Deutschland ein Bild machen. Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist die Zahl der Personen mit indischer Staatsangehörigkeit in Deutschland zwischen den Jahren 2010 und 2020 von 48.000 auf 151.000 gestiegen. Im Frühjahr 2021 hätten knapp 58 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Inder:innen in Deutschland in Positionen gearbeitet, die ein Hochschulstudium oder einen Fortbildungsabschluss wie einen Meister voraussetzen. Besonders häufig arbeiten Inder:innen in Bereichen, die vom Fachkräftemangel besonders betroffen sind, allen voran in den MINT-Berufen. Obwohl Deutschland in Konkurrenz zu angelsächsischen Ländern mit ihren traditionell starken indischstämmigen Communities steht, gelang es, immer mehr indische Zuwanderer zu locken, auch solche, die zunächst ein Hochschulstudium in Deutschland beginnen.

Der Markteintritt: Schritt für Schritt nach Indien

Wie die deutsche Wirtschaft wird auch die indische von Konzernen, zahlreichen kleineren und größeren Familienunternehmen und einer lebendigen Startup-Szene geprägt. Dank einer unkomplizierten Verständigung in der Amtssprache Englisch dürfte Newcomern der indische Markt zugänglicher erscheinen als etwa der chinesische.

Hinzu kommt, dass fast jede/r zweite deutsche Mittelständler:in ihre/seine aktuelle Geschäftslage in Indien als gut bezeichnet. Das geht aus unserem im Januar 2022 veröffentlichten ‘WB Geschäftsklimaindex Indien 2021’ hervor. Am Ende des ersten Coronajahres waren es nur 18 Prozent. Beim wirtschaftlichen Ausblick bestätigt sich der positive Trend. Fast zwei Drittel der Befragten sind davon überzeugt, dass die wirtschaftliche Lage in den kommenden zwölf Monaten, also im Jahr 2022, gut ausfallen wird. Das von uns jährlich ermittelte Geschäftsklima – der Mittelwert aus Salden der Geschäftslage und der Erwartungen für das kommende Jahr – stieg sogar auf den höchsten Wert seit dem Start der Erhebung im Jahr 2017.

Positiv entwickelten sich 2021 auch die Umsätze. Mit 70 Prozent berichtete eine große Mehrheit der Befragten von Umsatzwachstum, bei 12 Prozent blieb der Umsatz gleich, bei 17 Prozent sank dieser. Obwohl alle Mittelständler:innen von der Pandemie und ihren Folgen nach zwei harten Lockdowns betroffen seien, hielten die Unternehmen aus der DACH-Region am indischen Markt fest und nähmen das Potenzial wahr.

Produktanpassungen für den indischen Markt

Ob der indische Markt für die eigenen Produkte oder Dienstleistungen überhaupt attraktiv ist, sollten Unternehmen nach einer eingehenden Marktanalyse in der Praxis testen. Zunächst kann ein sorgfältig ausgewählter lokaler und bereits etablierter Distributor Teile des Sortiments über sein Netzwerk auf dem Subkontinent vertreiben. Verläuft der Test erfolgreich, gründen viele Unternehmen eine Tochtergesellschaft in Form einer indischen GmbH bzw. einer Private Limited Company, die dann auch eigene lokale Mitarbeiter:innen beschäftigt. Oftmals stellen ausländische Unternehmen fest, dass sie ihre Produkte an die lokalen Bedürfnisse anpassen müssen, weil diese im Original entweder zu teuer oder zu anspruchsvoll in der Handhabung sind (‘Frugale Innovation’). Dazu bauen sie in der Regel im Laufe der Zeit auch eigene Werke auf, die mittelfristig zusätzlich Kund:innen in angrenzenden Ländern beliefern können. Darüber hinaus ist es möglich, das Land in Südasien nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch oder nur als immer attraktiver werdenden Beschaffungsmarkt zu nutzen. 

Indiens Silicon Valley – Hoffnungsträger der IT-Branche

In Bangalore, einem der wichtigsten Wirtschaftszentren des Landes, hat sich das Silicon Valley Indiens etabliert, mit einem riesigen Angebot an gut ausgebildeten IT-Fachkräften. Zahlreiche westliche Firmen haben ihre gesamten IT-Abteilungen zu indischen Dienstleistern oder in eigene Entwicklungszentren in die ‘IT-Capital of India’ ausgelagert. Mit dem Offshoring profitieren sie von deutlich günstigeren Gehältern und einem ausreichenden Angebot an Fachkräften. Der Zwang zur Digitalisierung in allen Wirtschaftsbereichen wird den Trend weiter anheizen. Laut der nationalen Investmentagentur Invest India hat die indische IT-Branche einen Anteil von mehr als 52 Prozent am globalen Outsourcing-Markt. Die Sektoren Computersoftware und -hardware ziehen die zweithöchsten ausländischen Direktinvestitionen an.

 

Teil 2: Aus der Praxis „Tipps und Tricks“
Teil 3: Herausforderungen in Indien, Fazit