Eine Betrachtung der traditionellen indischen Gesellschaftsordnung (das Kastenwesen) einmal aus einer wirtschaftlichen Perspektive. Ein Kommentar:
Der Nutzen des Kastenwesens war die Einteilung der Menschen nach ihren Aufgaben und Berufsgruppen: Brahmanen (Priester und Lehrer), Kshatriyas (Krieger, Adel, höhere Beamte), Vaishyas (Händler, Kaufleute, Grundbesitzer), Shudras (Handwerker, Tagelöhner) und – für die niedrigsten Aufgaben – die Unberührbaren, auch Paria oder Dalits genannt.
In einer Gesellschaft ohne institutionalisiertes Bildungssystem war es sinnvoll und notwendig Wissen und Handwerk an die nächste Generation weiter zu geben. So folgte der Sohn immer dem Vater nach und übernahm dessen Aufgaben und Geschäfte. Über Generationen und vielen Jahrhunderten verfestigten sich diese sozialen Strukturen zu starren Kasten.
Genau genommen ist das Kastenwesen gar nicht so unähnlich der sozialen Struktur im europäischen Mittelalter. Auch unsere Gesellschaft war in Adel, Klerus, Bürgertum (Händler und Handwerker), Bauern und Unfreie eingeteilt. Das städtische Bürgertum war nochmals durch Gilden, Innungen oder Zechen der verschiedenen Gewerbe organisiert.
Da es aber in Indien im Gegensatz zu Europa nie „echte“ Revolutionen (Aufklärung, 1789, 1848, 1968 etc.) gab, reichen diese für uns rückständig anmutenden, teilweise feudalen Strukturen bis ins 21. Jahrhundert hinein und sind auch heute noch in weiten Teilen Indiens – trotz gesetzlichem Verbot – gesellschaftliche Realität.
In den Großstädten ist von Kasten nicht mehr die Rede und es gibt inzwischen beeindruckende Beispiele von erfolgreichen Unternehmern und Millionären, die aus ursprünglich „niedrigen Kasten“ kommen.
Aber wer sich die Herkunft der führenden indischen Unternehmerfamilien anschaut, der sieht, dass man nach wie vor auf „Überbleibsel“ des Kastenwesens trifft. Ein Beispiel: Die Vaishyas umfassen Kaufleute, Händler, Geldverleiher und Großgrundbesitzer. Der Unterkaste der Marwaris wird besonders großes kaufmännisches Talent nachgesagt. Die Mehrheit der größten Konzerne Indiens gehört Marwari-Familien, wie den Birlas, Bajajs, Goenkas, Poddars, Goyals, Bansals, Hindujas, Singhals, Jindals, Mittals oder Aggarwals. Diese Namen dürften Ihnen, wenn Sie in Indien geschäftlich unterwegs sind, bekannt vorkommen.
Diese Familien und Clans haben Unternehmergeist und Geschäftssinn über Jahrhunderte kultiviert und ihren Besitz von Generation zu Generation weitergegeben und teilweise riesige Unternehmen und Besitztümer aufgebaut. FORBES führt inzwischen sogar unter dem Namen „Marwari Power“ eine eigene Liste „Die 100 wichtigsten Marwari-Unternehmen“. Einige Beispiele gefällig? Hindalco Industries, Grasim Industries, Bajaj Auto, Jindal Steel & Power, Lupin Pharmaceuticals, Shree Cement, Zee Entertainment, Welspun und so weiter und so fort.
Mit anderen Worten: Marwaris haben den Geschäftssinn quasi schon mit der Muttermilch mitbekommen. Wenn Sie also mit ihnen verhandeln, sollten sie sich bewusst sein, dass sie es mit Profis zu tun haben.
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