Für erfolgreiche deutsche Unternehmen ist es mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, sich mit den kulturellen Unterschieden zwischen der eigenen westlichen Kultur und dem Umfeld des jeweiligen fremden Marktes zu beschäftigen. Dies gilt insbesondere auch beim Kontakt mit Indien.
Interkulturelle Kompetenz wird nicht nur sehr ernst genommen, sondern auch als wesentliche Voraussetzung für den eigenen Geschäftserfolg angesehen. Aus diesem Grunde lässt sich ein großer Teil deutscher Unternehmen – über die wirtschaftliche Seite hinaus – auch interkulturell beraten. Der Besuch eines eigens dafür konzipierten Seminars oder Trainings soll Management und Mitarbeiter auf die Herausforderungen in Indien vorbereiten und sie für die Gepflogenheiten im dortigen Geschäftsleben – die Do’s & Don’ts – sensibilisieren. Vor allem aber soll so ein Training das Team später in Indien vor den überall lauernden interkulturellen Fallstricken und Fettnäpfchen bewahren.
So ist ein Großteil der europäischen Manager heute dafür äußerst sensibilisiert. Dementsprechend vorsichtig agieren sie dann auch in Indien: Nur ja keine Fehler machen! Nicht zu direkt kommunizieren! Bloß keine Konflikte mit dem indischen Partner oder Geschäftsführer provozieren – und so weiter und so weiter …
An dieser Stelle muss allerdings gesagt werden, dass die „Sichtweise“ solcher Maßnahmen in der Regel vom Standort Europa aus ins „ferne“ Indien ausgerichtet ist.
Interkulturelle Kompetenz ist in Indien ein Fremdwort
Im krassen Gegensatz zu Mitteleuropa beschäftigt sich in Indien so gut wie niemand mit dem Thema „Interkulturelle Kommunikation“. Die indische Seite verhält sich auch im internationalen Kontext in der Regel weiterhin zu „100% indisch“ und sieht im Normalfall nicht den geringsten Grund, sich speziell auf einen Geschäftspartner in Europa einzustellen.
Interkulturelle Kompetenz ist im Indiengeschäft daher leider zur ausschließlichen Bringschuld der Europäer geworden. In der Praxis führt das zu einem äußerst unausgewogenen, ja sogar unerwartet ungesunden Kommunikationsverhalten „zu Gunsten der indischen Geschäftspartner“.
Gut gemeint ist eben nicht immer gut…
Durch eine auf diese Weise entstandene „Hyper-Sensibilisierung“ tendieren deutsche Unternehmer häufig dazu, kritische Themen lieber zu vermeiden oder zumindest nur halbherzig zu besprechen. Die unangenehmen Themen kommen aber doch irgendwann ans Tageslicht – und dann ist es leider oft schon zu spät, um noch etwas zu retten. Auf diese Weise kann eine ursprünglich nur angespannte Situation zu einer veritablen Unternehmenskrise eskalieren (siehe auch: Woran Joint Ventures in Indien wirklich scheitern)
Aus einem Übermaß an Vertrauen – und eben übertriebener interkultureller Vorsicht – mischen „wir“ uns kaum ins Tagesgeschäft ein und geben dem lokalen Management damit „völlig freie Hand“. Im Klartext heißt dies aber: Die deutsche Seite kontrolliert nicht nur die Geschäftsprozesse nicht regelmäßig, sondern gibt regelrecht die Kontrollinstrumente aus der Hand. Früher oder später verfügt der indische Geschäftsführer dann über alle Vollmachten und das indische Board of Directors kommt seinen Aufsichtspflichten nur mehr unzulänglich nach. Nun hat man also nicht nur das Zepter aus der Hand gegeben, sondern es entsteht auch eine quasi unabhängige Organisation mit „indischer DNA“ und mit „indischen“ Prozessen und Strukturen.
Indische Unternehmen haben aber leider einen deutlichen Hang zu einem laissez-fairen Umgang mit Konzernstandards und Vorschriften. Letztendlich verselbstständigt sich die indische Firma und erkrankt dann sehr bald an den typisch indischen Krankheiten wie Nachlässigkeit und einem definitiv gewollt hohen Maß an Intransparenz. (Siehe Artikel Ein Joint Venture in Indien ist immer ein INDISCHES Unternehmen)
Wann die interkulturelle Vorbereitung versagt
Es scheint, dass mittlerweile ein „Zuviel“ an interkultureller Vorbereitung deutsche Unternehmer übersensibilisiert hat und dass sich dadurch das Machtverhältnis zwischen deutschen und indischen Geschäftspartnern letztendlich zu „unseren“ Ungunsten verschoben hat.
Mögliche Gründe liegen darin,
- dass es der deutschen Seite oft nicht gelingt, die erlernten theoretischen (!) Inhalte auf das unternehmerische Handeln in der Praxis zu übertragen: Was bedeuten zum Beispiel die indischen Werte für Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb, Service, sowie Führung & Steuerung von Personal?
- dass in Indien sehr verbreitete negative Verhaltensweisen, die bei uns als „politisch nicht korrekt“ gelten, gar nicht oder nur unzureichend thematisiert werden, zum Beispiel: Machtstreben, unsolidarisches Handeln aus Eigennutz, Respektlosigkeit gegenüber bestimmten Gruppen, Fokus auf dem kurzfristigen eigenen Vorteil, andere für eigene Fehler verantwortlich machen, mangelnde Kompromiss-Fähigkeit und vieles mehr.
- dass die meisten interkulturellen Trainings von Indern selbst durchgeführt werden, denen es häufig an Selbstreflexion und der nötigen Distanz zur eigenen Kultur fehlt.
Auch den Indern ist die Wahrheit zumutbar!
Leider müssen Sie in Indien davon ausgehen, dass Sie der Einzige weit und breit sind, der sich mit der für ihn anderen Kultur beschäftigt. Sie respektieren diese, versuchen auch, das Fremdartige zu verstehen und Sie passen Ihr Verhalten Ihrem Gegenüber an. Ihr indischer Geschäftspartner hingegen wird dies nur in den aller-seltensten Fällen für nötig halten.
Um in Indien wirklich auf Augenhöhe verhandeln zu können und auch dort Ihre eigenen Wertvorstellungen durchzusetzen, beherzigen Sie bitte die nachfolgenden Tipps. Dann sind Sie nicht mehr nur Beifahrer in Ihrer eigenen indischen Gesellschaft, sondern gleichberechtigter Verhandlungspartner:
- Bringen Sie sich unbedingt aktiv in die indische Gesellschaft ein.
- Finden Sie mit Ihrem indischen Management Ihr individuelles Gleichgewicht aus „Freiheit“ und „straffer Leine“
- Behalten Sie aber die Entscheidungshoheit ausschließlich und immer bei sich (Zusammensetzung des Board, Vergabe von Vollmachten usw.)
- Sprechen Sie kritische Themen an – und zwar sobald sie auftreten. Und verschleppen Sie nichts!
- Sie müssen nicht alles akzeptieren, was Ihnen in Indien als „Standard“ verkauft wird. Lassen Sie sich zu nichts hinreißen, was Sie nicht auch in Deutschland machen würden.
- Setzen Sie ein positives Beispiel und verleugnen Sie Ihre eigenen ethischen Werte nicht.
- Fordern Sie von Ihrem Gegenüber ein, was Ihnen wirklich wichtig ist.
- Bleiben Sie hart in der Sache, aber weich im Ton.
- Richten Sie sich darauf ein, dass Sie wahrscheinlich sehr viel Zeit benötigen werden, um Ihre Forderungen und Standpunkte durchzusetzen. Wer hier nachlässt, wird verlieren!
Behalten Sie diese Punkte zur praktischen interkulturellen Kommunikation unbedingt im Auge: Nur dann wird eine Kooperation auf Augenhöhe und eine ausgeglichene Beziehung zwischen deutschen und indischen Geschäftspartnern möglich sein.
Für Fragen zu den Themen interkulturelle Kommunikation und Kompetenz für Indien, steht Ihnen unser Fachbereichsleiter Werner Heesen jederzeit unverbindlich zur Verfügung.