In unserer Studie „Geschäftsklimaindex Indien“ wurde von vielen Unternehmern das Thema „Korruption“ als eines der größten Wachstumshemmnisse genannt. Daher wollen wir uns hier einmal diesem brisanten Thema nähern. Denn im Gegensatz zum subjektiven Gefühl unserer Befragten, begegnen wir selbst in Indien relativ selten dem Phänomen Korruption „im klassischen Sinne“.

Wir untersuchen, inwiefern der deutsche Mittelstand in Indien tatsächlich durch Korruption „ausgebremst“ wird und was sich denn wirklich hinter dem Schreckgespenst „Korruption“ verbirgt. Und vor allem – wie man damit umgehen kann.

Die objektiven Zahlen besagen: In Indien blüht die Korruption!

Im aktuellen Korruptions-Ranking (Corruption Perception Index der NGO Transparency International) landet Indien auf Platz 79 von 176 Ländern. Damit ist Indien in ziemlich schlechter Gesellschaft und auf Augenhöhe mit Serbien, Brasilien, der Türkei und China. Man kann also objektiv gesehen nicht behaupten, dass in Indien in Sachen Korruption alles in Ordnung ist.

Das Übel „Kleinst-Korruption“ ist vor allem ein Problem für die Armen

Tatsächlich kann man in Indien immer wieder mit eigenen Augen die „tägliche kleine Korruption“ beobachten oder selbst deren „Opfer“ oder auch Täter werden. So hält Sie zum Beispiel ein Verkehrspolizist auf der Straße willkürlich an, bemängelt irgendeine Belanglosigkeit und lässt Sie erst wieder los, wenn Sie ihm einen 100 Rupien-Schein unter die Nase halten. Die Wenigsten haben Lust, sich jetzt auf Diskussionen einzulassen und erkaufen sich deshalb durch einen überschaubaren Geldbetrag wertvolle Lebenszeit.

Mehr oder weniger verborgen nutzen die meisten Inder, die es sich leisten können, die Kraft des Geldes um sich „last minute“ noch den einen oder anderen Vorteil zu erkaufen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, doch noch eine Fahrkarte für den ausgebuchten Zug nach Mumbai zu ergattern. So wird diese Art von „kleiner Korruption“ in Indien als notwendiges Werkzeug verstanden, das jeder nutzt oder beklagt, je nachdem auf welcher Seite man gerade steht.

Solche Korruptionsfälle betreffen nun den ausländischen Unternehmer höchstens am Rande. Vielleicht nutzt er sogar selbst hin und wieder die Möglichkeiten, die ihm diese verbreitete Unsitte eröffnet. Das zeigt auch, woran es in der indischen Gesellschaft krankt – in vielen wichtigen und dringenden Situationen im Leben kommt man auf dem „normalen“ Weg kaum voran. Im Grunde sollte man dieses allgegenwärtige Fehlverhalten aber eher als Amtsmissbrauch, Willkür und Kleinstkriminalität bezeichnen und es schadet immer den Ärmsten, die hier nicht „mitmischen“ und sich keine Vorteile im Lebenskampf erkaufen können.

Korruptionspotential in der Verwaltung

Es gibt aber Bereiche, wo echte Korruption als reale Gefahr für Unternehmer existieren kann: In der öffentlichen Verwaltung und hier insbesondere bei Genehmigungsprozessen.

Eigentlich kann Ihnen in Indien niemand Ihr Recht verwehren, da Indien offiziell immerhin ein Rechtsstaat ist.  Die Gewährung desselben kann aber maximal verzögert werden ….   Denn Zeit ist Geld – und so nutzen sinistere Elemente in der indischen Bürokratie die vielen Möglichkeiten der Verschleppung und geben auch absichtliche Falschauskünfte, um sich ein „Beschleunigungsgeld“ das sogenannte „Speed Money“ zu verdienen. Auf gut Deutsch: ein Schmiergeld, um das zu bekommen, was Ihnen rechtlich ohnehin zusteht.

Und so konnten es in der Vergangenheit mittlere Beamte in den entsprechenden Ämtern zu beachtlichem Wohlstand bringen. Doch diese goldenen Zeiten gehen jetzt langsam zu Ende. Premierminister Modi scheint es wirklich ernst zu meinen, wenn er davon spricht, die Korruption im Land auszurotten. Und selbst wenn das nur politische Lippenbekenntnisse sind, trägt die Digitalisierung aller Verwaltungsprozesse dazu bei, dass die Möglichkeiten für Korruption im Amt täglich schwinden.

Eine skurrile aber wahre Geschichte am Rande: Nach der Amtsübernahme von Narendra Modi beklagten nicht wenige Beobachter, dass in der öffentlichen Verwaltung gar keine Genehmigungen mehr vergeben wurden und alle Projekte „on hold“ sind. Der Grund: Da sich niemand mehr getraute,  das übliche Schmiergeld zu nehmen, wurden auch keine Entscheidungen mehr getroffen.

Medien und Bürgerrechtler engagieren sich aktiv gegen Korruption

Grundsätzlich sind aber ausländische Unternehmen und deren Vertreter in Indien deutlich weniger von Schmiergeld-Forderungen betroffen, als rein indische Unternehmen. Da indische Beamte ausländische Unternehmen und deren Manager nicht einschätzen können, sind sie vorsichtig. Das Risiko, dass der Prozess unkontrolliert abläuft, ist vielen Amtsträgern doch zu groß.

Sollten Sie trotzdem einmal mit Korruption konfrontiert werden, ignorieren Sie jedwede Anspielung und konzentrieren Sie sich ausschließlich darauf, dass Sie alle Auflagen zur Gänze erfüllen. Sofern Sie nicht gegen objektive Kriterien verstoßen, werden Sie in Indien alles bekommen – es dauert vielleicht nur etwas länger.

Umgekehrt ist der Glaube, sich selbst mit der Kraft des Geldes über eine Vorschrift oder eine Auflage hinweg „schwindeln“ zu können, ziemlich riskant. Sollten Sie nämlich nicht wirklich im Recht sein und einmal einem Beamten ein Schmiergeld gezahlt haben, werden Sie fortan Ihr Leben lang an ihn zahlen müssen. Und es wird mit der Zeit immer teurer werden, denn sonst fliegt Ihr Versagen auf. So gibt es in Indien auch „Schmiergeldzahlungen im Abonnement“ – und zwar ohne eine Möglichkeit zur Kündigung!

Planen Sie daher immer ausreichend Zeit für Ihre Behördengänge, Genehmigungen und Verwaltungsprozesse ein und erfüllen Sie alle Anforderungen immer zu 100 Prozent.

Korruption vs. Nepotismus

Wenn man von Korruption in Indien spricht, ist im Grunde oft Nepotismus oder Vetternwirtschaft gemeint. Darunter versteht man eine übermäßige Vorteilsbeschaffung durch oder für Familienangehörige, Familienmitglieder, Verwandte oder auch Freunde.

Aus unserer Sicht ist eben dieser geradezu epidemische Nepotismus das größte Problem Indiens, denn er ist auf allen Ebenen zu beobachten. Durch Nepotismus werden Wettbewerb, Fairness, Qualitätsbewusstsein, Objektivität und ein nachhaltiges Wirtschaften unmöglich. Stattdessen versickern öffentliche und private Gelder und Ressourcen in intransparenten Netzwerken.

Korruption vs. Kick-Backs

Auch die so genannten „Kick-backs“ oder verdeckte Provisionszahlungen werden oft als Korruption bezeichnet. Sie sind aber aus unserer Sicht ein Phänomen für sich.

Schmiergeld

Kick-Backs sind allgegenwärtig um persönlich finanziellen Vorteil zu erlangen

In Indien ist es typisch, dass so genannte „Berater“ – auch gerne ungefragt – versuchen, Geschäfte einzufädeln oder Entscheidungen zu Gunsten eines bestimmten Anbieters oder Lieferanten zu beeinflussen. Gelingt dies, so können sie durch den „kick-back“ einen persönlichen Profit für sich heraus schlagen. Solche „Berater“ verzerren aber letztendlich den Wettbewerb im Markt.

Wenn also umgekehrt jemand von Ihnen Honorare oder Provisionen verlangt, um die Kauf-Entscheidung eines potentiellen Kunden zu Ihren Gunsten zu beeinflussen, zeigt das eindeutig, dass Sie mit der falschen Person sprechen. Denn auf gleicher Hierarchieebene ist in Indien Korruption im Sinne von Schmiergeld überhaupt kein Thema. Dafür ist der eigene Stolz doch zu groß und der potentielle Gesichtsverlust zu riskant. Identifizieren und verhandeln Sie ausschließlich direkt mit dem Entscheider!

Solche Unsitten können natürlich auch in Ihrem indischen Unternehmen einreißen. So passiert es nicht selten, dass eigene Mitarbeiter – vor allem im Einkauf – Provisionen von Ihren Lieferanten kassieren. Ein derartiges Fehlverhalten können Sie nur durch sofortige Entlassung beantworten. Die Anwendung des Vier-Augen-Prinzips und rigorose und regelmäßige Audits im eigenen indischen Unternehmen sind notwendige Präventiv-Maßnahmen für saubere und transparente Geschäfte.

Fazit zum Thema Korruption in Indien

Aus unserer Sicht ist der Begriff „Korruption“ zu weit gefasst und zu unspezifisch, um pauschal darüber zu sprechen oder das Phänomen zu beurteilen.

Wenn man die oben angeführten Hinweise versteht, ist Korruption in Indien jedenfalls ein leicht vermeidbares Übel. Mit einigem Wissen über Nepotismus und den falsch verstandenen Unternehmergeist einiger Markteilnehmer, kommen Sie in Indien auch ans Ziel, ohne mit dunklem Geld nachzuhelfen.

Wenn Sie hier mehr Fragen haben, oder in einem aktuellen Fall Beratung brauchen, kontaktieren Sie uns einfach.