Informationen sind in Indien immer persönlich gefärbt! Die Inder zeichnen sich nämlich nicht unbedingt durch sachliche Objektivität, sondern eher durch ihre Emotionalität aus. Ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken, verbunden mit „nicht Nein-Sagen“ können (Stichwort „No Problem“) und die Angst vor Gesichtsverlust führen in Indien oft zu grenzenlosem Zweck-Optimismus oder direkt zu Falschaussagen.
Von Europäern wird leider nur zu oft vergessen, dass man in Indien grundsätzlich jede Information als gefiltert und subjektiv einschätzen muss. Hat man diese Erkenntnis erst einmal verinnerlicht, lassen sich von vornherein eine ganze Reihe von Fehleinschätzungen und falschen Entscheidungen vermeiden. Trotzdem, stellt sich natürlich die Frage, wie man – bei dieser Ausgangslage – in Indien überhaupt an objektive Zahlen, Daten und Fakten und vielleicht sogar an manche Geheimnisse gelangen kann.
Grenzenlose Neugierde, ein typisch indischer Charakterzug
„Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts“, besagt ein Sprichwort. Und international erfahrene Manager bestätigen: Nirgendwo auf der Welt wird so viel getratscht wie in Indien.
Eine mögliche Begründung, warum diese große Neugierde geradezu ein Teil der indischen DNA ist, könnte in der Geschichte des Landes liegen. In vielen Jahrhunderten, die geprägt waren von Invasionen, Fremdherrschaft und Unterdrückung durch die fremden und auch die eigenen Herrscher war für jeden Einzelnen die permanente Beschaffung von Informationen eine notwendige Strategie zum Überleben.
So sind aus einer langen Tradition auch die mit der Neugierde eng verwandten und sehr positiven Eigenschaften Wissensdrang und Forschungstrieb gewachsen; aber gleichzeitig sind deren dunkle Schwestern Indiskretion, Schnüffelei und Sensationslust in Indien weit verbreitet und dem Indien-Kenner leidvoll bekannt.
Diese Neugierde in allen ihren Facetten gilt es in Indien für sich zu nutzen; aber genauso wichtig ist es, sich genau davor zu schützen!
Die richtige Information, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort
Letztendlich gibt es in Indien keine Geheimnisse – zumindest nicht auf Basis einer soliden Beziehungsebene. Bei gegenseitigem Vertrauen und Respekt kann man in Indien über alles sprechen. Auch äußerst kritische Dinge und vertrauliche Informationen können benannt und ausgesprochen werden.
Zwischen Indern gleichen Ranges besteht jederzeit abseits und sozusagen „parallel zum offiziellen Protokoll“ immer auch ein inoffizieller Kommunikationskanal neben all den Meetings und Verhandlungen. Von Geschäftsführer zu Geschäftsführer, von Projektingenieur zu Projektingenieur oder auch von Chauffeur zu Chauffeur werden in gegenseitigem Vertrauen auch stets geheime Informationen weitergegeben.
Daher ist es auch so wichtig, in Indien über funktionierende Netzwerke zu verfügen. Hier können Sie über die Beziehungsebene alle Hierarchie-Ebenen „bespielen“. Über diese informellen Kanäle gelangen Sie an belastbare Marktinformationen oder Sie können von dritter Seite erhaltene Auskünfte verifizieren (siehe auch Fachartikel zum Thema Marktanalyse Indien)
Die Macht der Dienstboten
Auf gar keinen Fall sollten Sie die Macht und die Möglichkeiten der sogenannten „kleinen Leute“ unterschätzen! Denn nicht selten spielen die jungen oder auch älteren Tea Boys, Office Boys und Chauffeure eine sehr wichtige Rolle bei der Beschaffung von Informationen in Indien.
Obwohl sie in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehen, sind die meisten Laufburschen recht gewitzte Leute, die um ihre Möglichkeiten und die Zugänge dazu wissen. Bei Bedarf nutzen sie einfach die Faulheit oder Indiskretion ihrer „Herren“ zum eigenen Vorteil und reichen schon mal nicht öffentliche Informationen an ihre eigenen Vertrauenspersonen weiter.
Wenn Sie einmal erlebt haben, wie respektlos und herablassend indische Führungskräfte oft mit ihren Untergebenen umgehen, wundert Sie das alles nicht. Die fehlende Loyalität der einfachen indischen Dienstkräfte kommt vor allem daher, dass ihre Vorgesetzten ihnen weder allzu viel Vertrauen noch viel Respekt entgegenbringen. Aber auch diese Menschen wünschen sich ein respektvolles Gegenüber, wie jeder andere auch.
Wertschätzung und Respekt öffnet alle Türen
Auf Grund der hohen Machtdistanz in Indien, wo Ungleichheit unter den Menschen in vielerlei Hinsicht erwartet wird und auch erwünscht ist, bleiben Ihnen als Outsider im wahrsten Sinne des Wortes viele Türen verschlossen und die dazu gehörigen Informationen verborgen. Es sei denn, Sie werden selbst zum In(d)sider. Wenn Sie hier „Land gewinnen wollen“, dann wird es eine Ihrer wichtigsten Managementaufgaben sein, sich auf allen Ebenen Vertrauen zu schaffen und Ihren indischen Mitarbeitern und Partnern gegenüber stets Achtung und Respekt zu zeigen.
Wenn es darum geht, Zugang zu allen Schichten der Gesellschaft zu bekommen, haben Ausländer im Gegensatz zu Indern sogar einen entscheidenden Vorteil! Denn als Nicht-Inder sind wir ja nicht in der komplexen indischen Hierarchie versponnen und wir haben aufgrund unseres spezifisch europäischen Hintergrunds auch keine Probleme, mit Angehörigen der unteren Hierarchien emphatisch und wertschätzend in Beziehung zu treten. Auf der Basis eines solchen Vertrauensverhältnisses gibt es in Indien keine Geheimnisse und Sie werden sich wundern, was Sie alles erfahren!
Verstehen Sie das bitte keinesfalls als Aufruf zur Industriespionage! Dies ist eine legitime Möglichkeit, über informelle Kanäle an wichtige Informationen zu kommen, welche Ihnen im offiziellen Rahmen vorenthalten wurden. Auf diese Weise stellen Sie nur eine gewisse Chancengleichheit her.
Praktischer Nutzen in allen Geschäftsbereichen
Dieser Zugang zu informellen Informationen ist Ihre Lebensversicherung in Indien wird Ihnen in allen Bereichen nutzen. Hier einige Beispiele:
- Personalsuche: Es wäre ganz besonders in Indien nicht zu verantworten, einen neuen Mitarbeiter einzustellen, ganz gleich auf welcher Ebene, ohne ihn vorher einem gründlichen Background-Check zu unterziehen. Durch unparteiische Dritte können Sie sich Kontakt zu Arbeitskollegen und Vorgesetzten verschaffen und all das herausfinden, was nicht im Lebenslauf steht und im Bewerbungsgespräch nicht zur Sprache kam. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Suche nach einem geeigneten Vertriebspartner.
- Vertrieb: Wirklich geschickte Vertriebsmitarbeiter beherrschen die Kunst, in informellen Gesprächen außerhalb der Firma herauszufinden, ob die besprochenen Vertriebschancen auch tatsächlich existieren und was für einen glücklichen Abschluss noch notwendig ist. Wenn trotz einer vollen Sales-Pipeline am Ende doch nur sehr wenige Projekte wirklich gewonnen werden, wird es Zeit, durch vertrauenswürdige Dritte beim potentiellen Kunden in Erfahrung zu bringen, warum es denn mit dem Abschluss nicht klappt. Ein angeblich zu hoher Preis ist da meist nur eine billige Ausrede.
- Behörden: Selbst mit Behörden sind informelle Gespräche möglich und können Klarheit bringen – selbstverständlich ohne sich in die Tiefen der Korruption zu begeben. Ganz im Gegenteil! Denn wenn Korruption im Raum steht, ist das ein Zeichen, dass man mit der falschen Person spricht.
- Krisenmanagement: Besonders wichtig und im Grunde unvermeidbar ist der inoffizielle Weg immer dann, wenn es darum geht, komplexe Probleme zu lösen oder Konflikte zu vermeiden. In einem persönlichen Gespräch auf Augenhöhe gibt es keine Tabus und wichtige Dinge können offen an- und ausgesprochen werden. Hier kommt Ihnen das große Harmoniebedürfnisse der Inder entgegen: In einem Umfeld von Vertrauen und Wertschätzung werden sie immer die Chance ergreifen, mit Ihnen auf gleicher Ebene zu kommunizieren und ihren persönlichen Standpunkt offen mit Ihnen zu teilen.