In boomenden Industriezweigen wie der IT-Branche gibt es in Indien tatsächlich vergleichsweise hohe Fluktuationsraten. Daraus darf man allerdings nicht schließen, dass es in Indien keine Loyalität seitens der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen gibt.

Traditionell ist in Indien eher das Gegenteil der Fall. Nahezu alle indischen Unternehmen sind Familienunternehmen – selbst die großen Konzerne. Es entspricht der indischen Kultur, eine möglichst enge Beziehung zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitern herzustellen. Dies lässt sich u.a. auch daran erkennen, dass in Indien bewusst auch die Belange von Familienangehörigen in die Personalpolitik mit einbezogen werden. Die im Westen teilweise verbreitete Vorstellung, indische Unternehmen würden ihre Mitarbeiter ausbeuten, ist nicht allgemein gültig.

Wenn man also den Gründen für eine Kündigung im Detail nachgeht, kommt man sehr schnell zur Erkenntnis, dass es nicht geringfügige Lohndifferenzen waren, die zu einer Kündigung geführt haben, sondern es ging um wesentliche Inhalte des Gehaltspakets oder um das Führungsverhalten der Unternehmerfamilie. (siehe auch Fachartikel „Warum es so häufig zum Bruch mit dem indischen Management kommt“)

Personalbindung durch Perspektiven

Bei vielen mittelständischen Unternehmen in Deutschland gilt das Prinzip, Mitarbeiter und Führungskräfte möglichst eng an das Unternehmen zu binden und damit eine lange Verweildauer sicherzustellen. Dies gilt grundsätzlich auch für Indien, wenngleich es hier auch Grenzen gibt.

Im Laufe der letzten 30 Jahre hat sich der Arbeitsmarkt in Indien ganz erheblich verändert. Zum einen hat sich das Leistungsprinzip immer stärker durchgesetzt. So ist es in Indien vergleichsweise leicht, durch wohlüberlegte Anreize Leistungen zu steigern und Mitarbeiter zu motivieren. Gleichzeitig ist es aber auch klar, dass solche Steigerungen nicht „unendlich“ sein können. Solche Konzepte zur Leistungssteigerung müssen immer auch mit Perspektiven verbunden sein. Wenn langfristige Perspektiven im Unternehmen oder auch neue Herausforderungen fehlen, läuft ein Unternehmen leicht Gefahr, potentielle Kandidaten für erweiterte Führungsaufgaben zu verlieren.

Man kann sagen, dass in Indien nach einer Verweildauer von fünf Jahren beim gleichen Arbeitgeber der kritische Zeitpunkt kommt, an dem bei Führungskräften sehr häufig eine berufliche Neu-Orientierung erfolgt. Eine gute Perspektiven-Planung mit realistischen Aussichten auf eine weitere Beförderung oder auf einen Einsatz außerhalb Indiens könnte einen indischen Manager dazu bewegen, auch länger im Unternehmen zu bleiben. Es kann aber auch sein, dass eine Führungskraft an völlig neuen Herausforderungen außerhalb des Betriebes Gefallen findet, die das derzeitige Unternehmen einfach nicht geben kann. In solchen Fällen kann eine freundschaftliche und einvernehmliche Trennung durchaus der beste Weg sein und nicht etwa das Festhalten an diesem Mitarbeiter um jeden Preis.