Wenn es nach den meisten „Indern“ geht, braucht es unsere Inputs aus dem „Westen“ gar nicht. Man könne doch alleine alles viel besser – und vor allem deutlich billiger. Außerdem verstünden wir als „Outsider“ Indien mit seinen Menschen und ihren Bedürfnissen ja auch nicht, sodass wir ihnen auch nicht viel zu bieten hätten.
Diese Einschätzung bezieht sich nicht ausschließlich auf unsere Technologie oder unsere Produkte. In diesem Artikel möchten wir unsere (Lern-)Erfahrungen teilen, die wir als Organisatoren eines Bildungs-Symposiums über Indien und beim Aufbau einer Indien-affinen Community sammeln durften.
Ausgangssituation: Mangelnde Kooperationsbereitschaft bzw. -fähigkeit
Es ist kein großes Geheimnis, dass Konkurrenz in Indien „besser funktioniert“ als Zusammenarbeit. Kooperation auf Augenhöhe wird in Indien leider kaum praktiziert (siehe Arbeiten in Indien). Stattdessen verhindert ein ausgeprägtes Hierarchiedenken und das (Aus)Nutzen von zumeist kleinen und unmittelbaren Vorteilen oft größere Projekte und langfristige Visionen.
Mangelndes Vertrauen untereinander ist aber nicht gerade ein Katalysator für langfristigen Erfolg – weder im geschäftlichen noch im kulturellen Leben. Um aber im Indien-Kontext erfolgreich zu sein, ist die Fähigkeit, Kooperationen mit verschiedensten Personen und Organisationen zu schmieden, vielleicht doch einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren.
Wir sind überzeugt, dass Kooperation und Inklusion langfristig immer stärker sind, als Kontrolle und Exklusion. Daher haben wir für unsere Initiative alle Player aus der indischen Szene gebeten, sich an unserer gemeinnützigen Plattform zu beteiligen. Die Einladung wurde leider nur selten angenommen.
Das Zitat von Mahatma Gandhi passt hier gut zu unserem Vorhaben: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ So ähnlich ist es uns nämlich auch ergangen.
Europäische Tugenden nutzen: unabhängig und proaktiv agieren
Als Europäer stehen wir prinzipiell außerhalb aller indischen Beziehungsnetzwerke. Was von vielen meist als Nachteil empfunden wird, ist in Wahrheit ein klarer Vorteil zu unseren Gunsten (siehe hier). Denn wir brauchen auf keine Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen, die sich aus den gegenseitigen Abhängigkeiten und Hierarchien und Communities ergeben. Durch unsere Unabhängigkeit können wir größere und tragfähigere Netzwerke knüpfen und Organisationen aufbauen, als es für „die Inder“ per se möglich ist.
Auch bei diesem Projekt hat sich wieder einmal bestätigt, dass es sich lohnt, wenn man als Europäer die alleinige Strategie-Hoheit und „Message Control“ über alle Prozesse hat (siehe Alleine Erfolgreicher in Indien) und die Agenda vorgibt.
Rückblickend waren das auch die Hauptgründe, warum die Qualität unserer Initiative (vor allem hinsichtlich Räumlichkeiten, Programm, Nachhaltigkeit) alles bisher in der österreichischen Indien-Szene Gesehene weit übertraf. Weitere wichtige „Lessons Learned“ wie wir den indischen Widerständen erfolgreich begegnet sind:
- Herausragende Qualität kann nur durch kompromissloses Handeln erzielt werden. Die gemeinsame Vision stand stets im Zentrum, nicht die Befindlichkeiten indischer Lokalkaiser.
- Fair-Teilen, Mit-Teilen und Geben steht vor Verkaufen (beziehungsweise Nehmen) und schafft eine nachhaltige Beziehungsqualität, die in Indien auf Grund von strukturellem Misstrauen sonst kaum möglich ist.
- Das Schaffen offener, durchaus auch gemeinnütziger Plattformen schafft mehr Wert, der dann auch von den potentiellen Kunden erkannt und honoriert wird (Pull-Effekt)
- Hier haben es geschafft die Menschen, insbesondere die Inder, persönlich zu berühren. So konnten wir ihnen eine goldene Brücke bauen, die es ihnen ermöglicht hat, ihre Rollen und Organisationen hinter sich zu lassen.
- Das Ansprechen von Nischenmärkten liegt uns eher, als den Indern. Abseits vom Massenmarkt warten aber ganz individuelle Bedürfnisse darauf, erfüllt zu werden. Das ist langfristig auch finanziell attraktiver.
- Die informellen Kommunikationskanäle sind stets wichtiger, als die offiziellen. Davon konnten wir uns auch bei diesem Projekt wieder überzeugen. Wären uns nicht regelmäßig wichtige Informationen zugespielt worden, wären wir in so manche Falle getappt oder hätten unser Angebot nicht so nachschärfen können, wie es notwendig war.
- Mit hochwertigen Inhalten und Services und durch einen strukturierten Kommunikationsprozess sowie etwas Technologie-Unterstützung (CRM, Newsletter) lassen sich mehr (zahlungswillige) Menschen erreichen, als durch puren Aktionismus und aggressive Werbung.
- Mit (europäischer) Strategie und Weitblick kommt man eher ans Ziel als mit Herum-Taktieren.
Unabhängigkeit und Unangreifbarkeit als Hebel
Die eigene Unabhängigkeit und Unangreifbarkeit waren aber wohl die wichtigsten Voraussetzungen unseres Erfolgs.
Wir haben uns von keiner Organisation oder Person vereinnahmen lassen. So haben wir beispielsweise von keiner Seite Geld genommen, die durch ihre finanzielle Unterstützung Einfluss auf unsere Arbeit genommen und unsere Vision zu Gunsten der eigenen Agenda verzerrt hätte. Da wir unsere Initiative selbst und mit Hilfe eines Crowdfundings durch die Community finanziert haben, waren wir niemandem einen Gefallen schuldig.
In Indien scheitert man gerne an den eigenen Schlampereien, nutzt dann aber doch den einen oder anderen Vorteil für sich und kommuniziert gleichzeitig etwas ganz anderes. Uns war im Gegensatz dazu immer glasklar, dass wir in unserem gesamten Handeln auch jederzeit völlig transparent sein müssen.
Nur so konnten wir das Misstrauen, das Ausländern in Indien immer entgegengebracht wird, abbauen und unsere Vision klar kommunizieren. Nur so konnten wir uns letztendlich auch die Aufmerksamkeit und Unterstützung von einigen wenigen Schlüsselspielern aus dem Ökosystem sichern und das Projekt zu einem einzigartigen Erfolg machen.
Was hat das mit Business in Indien zu tun?
Was für dieses Kultur-, Bildungs- und Community-Projekt galt, kann auch auf alle Geschäftsfälle übertragen werden. Nicht zufällig zählt die Wirtschaft zu den Sozialwissenschaften, wo menschliches Verhalten untersucht wird. Europäer und Indien verhalten sich in der Regel oft anders, die Muster sind aber in allen Lebensbereichen identisch.