Ein realistischer Gehaltsspiegel für Indien existiert nicht – wie Sie trotzdem marktübliche Löhne und Gehälter ermitteln können 

In Indien hat am 1. April 2024 das neue Geschäftsjahr begonnen – oftmals der richtige Zeitpunkt für Ihre indischen Angestellten, um neue Gehaltsforderungen an Sie zu stellen. Zudem ein sinnvoller Moment, um über Ihre Gehaltsstrukturen in Ihren indischen Tochtergesellschaften bzw. Joint Ventures nachzudenken. 

Für Sie als Unternehmen bedeutet dies zu entscheiden, welche Gehälter für welche Position und welchen Ort als marktüblich angesehen werden. Doch hierin liegt für europäische Arbeitgeber eine große Herausforderung, denn verlässliche Datenquellen zum Gehaltsspiegel in Indien werden Sie vergebens suchen.  

Zum einen stammen (online) veröffentliche Daten -direkt oder indirekt- von Interessenverbänden, die die eigene Gruppe am Markt bevorzugt sehen möchten. Zum anderen ist Transparenz -wie in so vielen Bereichen in Indien- auch im Bereich des Gehaltsniveaus Mangelware. Ferner spreizen Gehälter in Indien aus zahlreichen Gründen weitaus extremer als auf dem europäischen Markt.  

Bewertungsparameter „Durchschnittseinkommen“

Aussagen über das indische Durchschnittseinkommen geben wenig Aufschluss über das tatsächliche Lohnniveau in der für Sie interessanten Branche und Unternehmensgröße.  

Die regionalen Einkommensunterschiede zwischen den Metropolregionen Neu-Delhi, Mumbai, Pune, Bangalore etc. und deren Umland sind erheblich. Je weiter Sie sich von den Großstädten mit deren vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten fortbewegen, desto mehr nehmen die marktüblichen Einkommen ab – und zwar exponentiell.  

Gleiches gilt für die Gehaltsunterschiede nach Hierarchiestufen und Berufserfahrung, die deutlich extremer ausfallen als z.B. in Deutschland. Während in Deutschland das Gehalt der Geschäftsführung das des Sekretariats im Durchschnitt um das Drei- bis Sechsfache übersteigt, kann diese Lücke in Indien schnell auf das 20- bis 50-fache ansteigen.  

Firmeninternes Netzwerk als Informationsquelle 

Auch wird Ihr firmeninternes indischen Netzwerk im Bereich „Gehaltsniveau“ wahrscheinlich nicht zuverlässig funktionieren. Fragen Sie Ihr indisches Management, werden Sie eher eine politische Reaktion, denn eine verlässliche Antwort erhalten. Schon die von Ihnen gestellte Gehaltsfrage signalisiert nämlich Ihrem indischen Gegenüber, dass Auswirkungen auf dessen eigenen Status möglich sein könnten. Hinsichtlich des Status kommen jedoch kulturelle Unterschiede zum Tragen, die westliche Unternehmen oftmals nicht ausreichend im Blick haben. Der Vergleich mit anderen Menschen ist durch den permanenten sozialen Kampf hinsichtlich der eigenen Stellung geprägt. Das gesellschaftliche Ansehen auch in der eigenen Community ist daher existenziell wichtig.  

Ein Aufstieg in der Hierarchieebene des Unternehmens kann damit u.U. auch ein lukratives „Goodie“ jenseits der Vergütung sein, wobei solche „dry promotions“ an Beliebtheit insbesondere in den höheren Einkommensschichten während der letzten Jahre deutlich verloren haben. 

Für das gesellschaftliche Ansehen entscheidend ist jedoch immer noch, für welches Unternehmen man tätig ist. Ein Beschäftigungsverhältnis bei einem deutschen Unternehmen ist hoch angesehen – so dass manch indischer Angestellte selbst am Wochenende sein Firmen- „Badge“ weiter an der Kleidung trägt.  

Kulturelle Unterschiede bei der „Selbsteinschätzung“ der Mitarbeiter 

Eine weitere Ausprägung der o.a. gesellschaftlichen Strukturen zeigt sich auch in der (offen gesprochen) häufig fehlenden Fähigkeit, die eigene Arbeitsleistung ausreichend zu reflektieren. Aus Furcht die eigene soziale Stellung herabzusetzen, wird oft vermieden, sich vergleichbar zu machen. Indien ist damit keine Kultur, in der es üblich wäre, über Fehler und Defizite offen zu kommunizieren. Was in Europa sicherlich noch ausbaufähig ist, ist in Indien schlichtweg nicht vorhanden. So erleben wir in unserer unternehmerischen Praxis z.B. immer wieder, dass Arbeitnehmer eine überhöhte Selbsteinschätzung zeigen. Selbst in anonymisierten Feedbackfragebögen zur eigenen Arbeitsleistung vergeben sich Arbeitnehmer eines Unternehmens regelmäßig die maximal höchstmöglich zu erreichende Punktzahl. Arbeitsleistungen der Kollegen hingegeben werden meist mit dem maximal schlechtesten Punktwert bewertet. Ein Phänomen, dem wir in Europa, China und den USA so nicht begegnen.  

Forcierte Gehaltssteigerung als Gefahr für Unternehmen 

Daraus resultiert auch eine überhöhte Erwartungshaltung an die eigene Gehaltssteigerung. Indiens Löhne steigen allgemein in den letzten Jahren deutlich. Die Konjunktur läuft bestens, gute Fachkräfte sind nicht immer einfach zu finden, diese zu halten schwierig, denn regelmäßige Jobwechsel mit entsprechend großen Gehaltssprüngen sind stärker üblich als in Europa. Insbesondere der derzeit bestehende Fachkräftemangel führt dazu, dass qualifizierte indische Mitarbeiter zahlreiche lukrative Chancen auf dem Arbeitsmarkt realisieren können und sich damit in einer für sie äußerst günstigen Verhandlungsposition befinden. Vor diesem Hintergrund sind viele europäische Unternehmen der Gefahr ausgesetzt, zu schnell den überhöhten Gehaltsforderungen ihrer Angestellten nachzugeben. Diese Gehaltssteigerungen können solche Unternehmen dann perspektivisch nicht weiter mitgehen und geraten auf lange Sicht in Schwierigkeiten ob eines zu hohen Lohnniveaus.  

Hohe Inflation als Gehaltsargument  

Ergänzend kommt hinzu, dass die (tatsächliche und gefühlte) Inflation in Indien in den letzten Jahrzehnten deutlich höher gelegen hat als derzeit und aus dieser Zeit noch gewisse Automatismen erhalten geblieben sind. Forderungen nach Lohnerhöhungen von 15-20 Prozent p.a. erklären sich auch aus diesem Gesichtspunkt.  

Da die prognostizierte tatsächliche Inflation in den nächsten Jahren jedoch weiter sinken wird und damit einhergehend sich die gefühlte Inflation anpasst, werden sich voraussichtlich auch die Gehaltserwartungen entsprechend angleichen.  

Bewertungskataloge und Zielvereinbarungen als Führungstools 

Ein weiteres Manko ist oftmals das Fehlen von Zielvereinbarungen anhand objektiv messbarer Bewertungskriterien, die Unternehmen für eine angemessene Eingruppierung ihrer Mitarbeiter heranziehen könnten. Sofern überhaupt vorhanden, sind Bewertungskataloge in indischen Unternehmen meist mit zu großem Auslegungsspielraum ausgestaltet oder dem westlichen Mutterunternehmen entliehen und damit für die spezifischen indischen Gegebenheiten ungeeignet. Die Qualität von Mitarbeitern objektiv messbar zu machen, ist sicherlich immer schwierig. Europäische Unternehmen sollten aber von einer reflexartigen Übernahme westlicher Zielvereinbarungsformulierungen absehen, wollen sie nicht in ständige Auseinandersetzungen mit ihrer Belegschaft geraten. Ihren westlichen Einschätzungen und Begrifflichkeiten zugrunde liegenden Prämissen unterscheiden sich meist erheblich. Für Indien empfehlen wir deshalb weitaus detailliertere Zielvereinbarungen gemeinsam mit dem Mitarbeiter zu entwickeln als in Europa üblich.  

Wie kommen Sie jetzt an verlässliche Informationen zum marktüblichen Gehaltsniveau? 

An belastbare Aussagen zu marktüblichen Vergütungen gelangen Sie ehrlich gesagt nur durch jahrelang selbst gemachte Erfahrungen und/oder durch ein jahrelang geknüpftes Netzwerk von westlichen HR-Experten vor Ort. Hilfreich ist auf jeden Fall ein auf die spezifischen Anforderungen Indiens zugeschnittener, detaillierter Bewertungskatalog mit entsprechenden Leistungsvereinbarungen. Dann können Gehaltsverhandlungen auch als Chance zur Führung eines Mitarbeiters genutzt werden, mit zielgerichteten statt willkürlichen Verhandlungsergebnissen. 

Die Personalgewinnung, das Führen von Gehaltsverhandlungen, die Anpassung von Verdienststrukturen sind seit Jahren unser „tagtägliches Brot“ vor Ort. Wir können Sie tatkräftig darin unterstützen, den Wert der Arbeit Ihrer Mitarbeiter in Indien realistisch einzuschätzen und ein angemessenes Lohnniveau zu kreieren. Wir wissen, wie Sie Ihre Mitarbeiter zu bestmöglichen Leistungen motivieren und ein erfolgreiches Team bilden.

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