Viele Klein- und Mittelbetriebe in Indien kämpfen – trotz hoher gesamtwirtschaftlicher Dynamik – ums nackte Überleben. Grund dafür ist der seit einigen Jahren enorm angestiegene Markteintritt ausländischer Produzenten in den unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft und der dadurch schmerzhaft angestiegene Wettbewerb.

Das produzierende Gewerbe in Indien ist traditionell extrem fragmentiert. Mit der Ausnahme weniger großer Player wird der Markt durch eine Unzahl von Klein- und Kleinstbetrieben dominiert, die oft nur wenige Komponenten und diese zumeist noch in schlechter Qualität und mit geringem Know-how produzieren.

Die Produktion und die Prozesse in diesen (meist) Familienunternehmen sind überwiegend veraltet und somit sind sie heute im Grunde in der offenen indischen Volkswirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig. Durch den rapiden Wandel auf dem Markt verspüren diese Unternehmen einen immensen Druck, in möglichst kurzer Zeit ihre Qualität und Effizienz zu steigern. Denn um letztlich im nun immer härter werdenden Wettbewerb bestehen zu können, sind die „indischen Mittelständler“ mehr oder weniger auf einen technologischen „Quantensprung“ und „Hilfe von außen“ angewiesen.

„Ich will ein Joint Venture von dir!“

Als perfekte Lösung für alle diese Probleme wird offenbar ein Joint Venture mit einem westlichen Unternehmen angesehen. Zumindest scheint es in den Augen unzähliger indischer Familienunternehmen der beste Weg zu sein, Know-how ins eigene Unternehmen zu holen – auf jeden Fall ist es der beliebteste. Und deshalb sind Inder so gut wie immer an einem Joint Venture-Vertrag mit deutschen Unternehmen interessiert.

Auf den einschlägigen Messen kommt es daher immer wieder zu der folgenden typischen Situation: Sie sind Aussteller und werden von allen Seiten mit Visitenkarten nur so überhäuft.

Alle wollen von Ihnen nur das eine: Ein Joint Venture. Die Argumente gleichen sich aufs Wort: „Wir passen hervorragend zusammen“; „Wir haben komplementäre Produkte, sofort nutzbare Produktionsanlagen und hervorragendes Fachpersonal“ und außerdem ist „unsere Kostenstruktur einfach unschlagbar“.

Selbstverständlich hat Ihr zukünftiger JV-Partner allerbeste Beziehungen in der relevanten Szene, bis in die Spitzen der indischen Regierung und nur selten fehlt in dieser Aufzählung die enge persönliche Freundschaft mit dem einen oder anderen namhaften Wirtschaftsboss.

All diese Beziehungen sind natürlich von enormer Wichtigkeit, denn wie man Ihnen inständig versichert, lassen sich auch die besten und preisgünstigsten Produkte in Indien eben nur über Beziehungen verkaufen! Und noch bevor Sie wieder in Deutschland sind, haben Sie schon einen Joint Venture Vertrag in Ihrem Email Postfach, den Sie nur noch unterschreiben müssen. Diese Geschichte ist durchaus nicht fiktiv – hunderte Firmen haben sie in Indien genau so erlebt.

Die indische Industrie befindet sich in einem „Technologiedilemma“

Was genau macht denn nun eine Zusammenarbeit in Form eines Joint Ventures für indische Unternehmen überhaupt so attraktiv? Es ist ja auch „den Indern“ bekannt, dass rund 80% aller Joint Ventures die ersten 10 Jahre nicht überleben.

Die Antwort ist recht einfach: Indien steckt in einem „Technologie-Dilemma“. Die Veränderungsgeschwindigkeit in der Industrie ist rasant. Vergleichen Sie einfach einmal Produkte, die in Indien vor zehn Jahren produziert und verkauft wurden mit Produkten von heute. Hier besteht ein himmelweiter technologischer Unterschied – und damit eine fast ausweglose Situation für die indische Industrie: Wie sollen kleine Familienbetriebe innerhalb kürzester Zeit den Sprung zu internationalen Qualitätsanforderungen schaffen – und wie die in jedem Fall bevorstehende Konsolidierungsphase überleben?

Die Antwort lautet ganz einfach: Ausländisches Know-how muss her! Und weil simples „Kopieren“ nicht nur illegal, sondern auch nicht ganz so einfach ist und weil man leider auch eine Produktions-Lizenz aus dem Ausland nicht so leicht bekommt, versucht man es eben über den Joint Venture-Ansatz.