Warum bei deutschen Unternehmen Joint Ventures in Indien wieder gefragt sind 

Plötzlich wollen es alle wieder: das Joint Venture. Nachdem vor ca. 20 Jahren Joint Ventures mit indischen Unternehmen vom deutschen Mittelstand stark nachgefragt waren, geriet das Joint Venture im letzten Jahrzehnt „aus der Mode“. Enttäuschte Erwartungen, finanzielle Debakel, unerreichte Ziele, Streitigkeiten mit den indischen Gesellschaftern – Joint Ventures scheiterten, kluge Exitstrategien waren gefordert. 

Doch seit nunmehr knapp 2 Jahren erleben wir in unserer Beratungspraxis eine merklich steigende Nachfrage nach Joint Ventures mit indischen Partnern. Warum ist das so? Was hat sich geändert? 

Neue unternehmerische Ziele für Joint Ventures 

In den Jahren 2000-2010 wurden Joint Ventures meist von deutschen Unternehmen nachgefragt, die sich vom indischen Partner „Marktzugang“ erhofften. Der herausfordernde indische Markt war unbekannt und Erfahrungen in anderen asiatischen Ländern oftmals gering. Primär sollte der indische Partner daher als lokaler Fachmann Markt-Knowhow und ein funktionierendes Netzwerk liefern. [https://www.wb-indien.de/2017/01/18/woran-joint-ventures-in-indien-wirklich-scheitern/] 

Jetzt sieht die Situation anders aus: Deutsche Unternehmen verfügen inzwischen meist über jahrelange oder sogar jahrzehntelange Erfahrung vor Ort und sind international etabliert. Sie haben den culture clash bereits hinter sich, kennen die besonderen Anforderungen des indischen Marktes und verfügen selbst über Marktzugänge und ein belastbares Netzwerk. Im Gegensatz zu den „Neulingen“ im Indiengeschäft, kennen heutzutage Joint Venture-Interessierte ihren gewünschten indischen Partner oftmals seit Jahren, arbeiten mit diesem bereits erfolgreich zusammen. Sie wissen daher genau, welchen Mehrwert eine engere Zusammenarbeit mit diesem ihnen bieten soll, wo die Schwierigkeiten, aber auch Chancen im gemeinsamen Projekt stecken.  

Bei ihnen stehen deshalb zwei Motivationen als Primärziel im Vordergrund: 

  1. Verlagerung von Teilen der Wertschöpfung nach Indien und
  2. Teilnahme am „Service-“ bzw.“After-Sales-“ oder “Refitting-Markt”. 

Verlagerung von Teilen der Wertschöpfung: 

Nicht zuletzt wegen der gestiegenen Energiepreise auf dem heimischen Markt, sondern auch wegen erheblicher logistischer Vorteile und Materialverfügbarkeit, sind viele deutsche Unternehmen fast gezwungen, Teile ihrer Wertschöpfungskette nach Indien zu verlagern. Sie möchten in Indien lokale Produktionen aufbauen, um dort z.B. an Kostenvorteilen zu partizipieren. Schlüsseltechnologien verbleiben in Deutschland, doch die Produktion von eher unkritischen Teilen (wie z.B. Gehäuse, Gussteile, Stanzteile etc.) erfolgt sinnvollerweise in Indien. Indien hat sich mittlerweile zu einem lukrativen Absatzmarkt entwickelt, und wenn Kunden und das Material bereits dort sind, so ist es allein schon unter logistischen Erwägungen nur konsequent, dort auch direkt zu produzieren.  

Zudem wird damit den bereits bestehenden oder kommenden „Local-Content“-Anforderungen Rechnung getragen. International agierende Unternehmen haben bereits die Erfahrung gemacht, dass jede Regierung irgendwann sogenannte Local-Content-Vorschriften als außenhandelspolitisches Steuerungselement erlässt. Auch Indien möchte die Industrialisierung fördern und im Gefolge Arbeitsplätze schaffen, Investitionen veranlassen, technisches und kaufmännisches Personal heranbilden, Know-How transferieren, Importe substituieren, die Infrastruktur verbessern usw. Deswegen werden Unternehmen, die in Indien beispielsweise an Ausschreibungen in Schlüsseltechnologien teilnehmen (z.B. Kraftwerke, industrielle Großanlagen, Eisenbahn, Häfen, Energiegewinnung) oder an (teil-)staatlichen Unternehmen liefern, bevorzugt, die vor Ort fertigen. 

After-Sales-Geschäft: 

In der Vergangenheit konnten deutsche Unternehmen das sog. „After-Sales-Geschäft“ in Indien häufig nicht bedienen. Ersatzteile für Maschinen, Updates, Refittings o.ä. wurden bei indischen Unternehmen vor Ort zugekauft. Lange Lieferzeiten, hohe Transportkosten und Importzölle machen den Import solcher Waren aus Europa aus Sicht indischer Kunden ökonomisch gesehen wenig lukrativ; „Good-Enough-Solutions“ finden sich zu niedrigeren Preisen eben auch vor Ort.  

Das „After-Sales-Geschäft“ macht bei vielen Unternehmen grundsätzlich häufig bis zu 50 % des Umsatzes aus – nicht aber in Indien. Um hier Umsätze zu ermöglichen, kann eine lokale Produktion bzw. Servicegesellschaft entsprechende Kosten senken und einen Zugang zum After-Sales-Markt überhaupt erst ermöglichen.  

Der Gedanke, dass diese Aktivität in der Zusammenarbeit mit einem vielleicht schon seit vielen Jahren vertrauten Repräsentanten oder indischen Händler erfolgen könnte, liegt nahe.  

Zusammenfassung: 

Deutsche-indische Joint Ventures finden heutzutage aus anderen Beweggründen und mit anderen Zielen statt als noch vor 15 Jahren. Die „Fallstricke“ sind jedoch ähnlich und bedürfen bereits bei der Planung einer solchen Partnerschaft besonderer Aufmerksamkeit. Welche dies genau sind und wo Sie wachsam agieren müssen, erfahren Sie im 2. Teil unserer „Joint Venture-Reihe“.